Süddeutsche Zeitung

Profil:Jahia Sinwar

Neuer Hamas-Führer im Gazastreifen mit radikalen Empfehlungen.

Von Peter Münch

Wer in den Reihen der Hamas ganz nach oben will, der braucht wohl ein paar Kernkompetenzen. Im Falle von Jahia Sinwar, der nun zum neuen Anführer der Islamisten-Truppe im Gazastreifen bestimmt wurde, zählt dazu seine Kampftauglichkeit als Mitglied der Kassam-Brigaden. Zudem kann er auf eine ausgeprägte Gefängnis-Erfahrung verweisen, schließlich saß er insgesamt 23 Jahre in israelischer Haft. Obendrein wird ihm neben der Entführung und Ermordung eines israelischen Soldaten noch nachgesagt, dass er einst palästinensische Kollaborateure mit eigenen Händen getötet haben soll. Solcherart gerüstet, kann er nun also ans Regieren gehen.

Im großen Stühlerücken bei der Hamas übernimmt der 55-jährige Sinwar den Posten von Ismail Hanijah, der wohl bald von Gaza nach Katar umziehen wird. Dort soll er das stets im Exil angesiedelte Politbüro der Hamas von Khaled Maschal übernehmen. Dies alles sind jedoch nicht nur Personal-, sondern vor allem Richtungsentscheidungen. Die Bestallung Sinwars sendet das klare Signal aus, dass nun die Extremisten am Drücker sind im Gazastreifen. Der militärische Flügel übernimmt das Kommando, die moderateren politischen Kräfte dürften in den Hintergrund gedrängt werden.

Das sind keine guten Nachrichten - nicht für Israel, und auch nicht für die zwei Millionen Bewohner des seit zehn Jahren von der Hamas beherrschten Gazastreifens. Denn unter Sinwars Führung dürfte es weniger um die dringend nötige Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung gehen. Er wird wohl dem Kampf gegen Israel alles andere unterordnen. Das heißt: Waffen statt Wiederaufbau - und woher die Waffen kommen, dürfte ihm im Zweifel egal sein. Erwartet wird nun auch eine neue Annäherung der Hamas an Iran.

Etwas anderes als den Kampf hat Sinwar nicht gelernt. Geboren wurde er im Flüchtlingslager von Khan Junis im Süden des Küstenstreifens. Die Familie stammt ursprünglich aus der israelischen Hafenstadt Aschkelon. 1989 wurde er in Israel zu vier Mal lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis avancierte er bald zum Führer der Hamas-Häftlingsfraktion. Als er schließlich 2011 zusammen mit mehr als tausend anderen Gefangenen im Austausch für den israelischen Soldaten Gilad Schalit freikam, nutzte er gleich die Willkommensparty in Gaza zur wütenden Kampfansage an Israel.

Ein Volkstribun wie sein Vorgänger Hanijah ist Sinwar gewiss nicht. Vielmehr macht er sich rar in der Öffentlichkeit. Bekannt ist nur, dass er 2012 eine späte Ehe schloss. Mehr soll niemand wissen über die Familie, schon gar nicht, wo sie wohnt. Schließlich sind in der Vergangenheit bereits mehrmals Führer der Hamas gezielten israelischen Angriffen zum Opfer gefallen. Sinwar zieht es vor, nach jedem Auftritt schnell wieder abzutauchen. Der mächtigste Mann in Gaza regiert aus dem Untergrund.

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Quelle:
SZ vom 15.02.2017
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