Süddeutsche Zeitung

Profil:Idil Baydar

Die türkischstämmige Kabarettistin ist bedroht, aber ohne Angst.

Von Dunja Ramadan

Wenn sich Idil Baydar in Jilet Ayşe verwandelt, zieht sie sich ihr schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift "Wallah (ich schwöre), ich hab nix gemacht" über, toupiert sich die Haare und steckt sich riesige Creolen in die Ohrlöcher. Die 44-jährige Deutschtürkin und ehemalige Waldorfschülerin aus Celle verwandelt sich so in die 18-jährige Kreuzberger Türkin, eine Kunstfigur, die mit rauchiger Stimme und in feinstem Kiezdeutsch ("Verstehss du wassisch mein?") über deutsche und türkische Eigenheiten schimpft, auf Youtube, im Fernsehen oder in ihrem Liveprogramm "Ghettolektuell". Dann stellt sie sich als "Deutschlands Integrationsalbtraum Nummer eins" vor und rechnet mit Vorurteilen ab - in der deutschen Mehrheitsgesellschaft und in der eigenen Community. Weshalb der Gastgeber das deutsche Publikum gerne auch vorwarnt, bevor sie auf die Bühne tritt, etwa mit einem vorsichtigen: "Lasst euch auf sie ein."

Denn was dann folgt, ist nicht immer schmeichelhaft. Weder für die eigene Community, die sie gerne "Kanaken" nennt, noch für die deutsche Mehrheitsgesellschaft, die bei ihr nur "Almanis" oder "Kartoffeln" heißt. Zum Beispiel, wenn sie die Sorge äußert, dass Deutsche aussterben, und zugibt, dass sie sich anfangs gefreut hat, weil Deutsche ja immer so viel Wert auf Bildung legen ("Lesen, schreiben, ganze Tag") und das Leben damit so anstrengend machen. Aber dann sei ihr klar geworden, dass sie dann allein wäre - mit all diesen "Kanaken" ("Ich hatte Todespanik"), weshalb sie sich entschieden hat, das "deutsche Paarungsverhalten" zu beobachten. Erste Erkenntnis: Die deutschen Männer sind zu langsam. Acht Hamudis würden bei Petra landen, bevor ein Michael überhaupt Hallo gesagt hat, schimpft Jilet Ayşe. Das Publikum lacht, einige verziehen keine Miene. Ihre Shows als reine Ethnosatire à la Kaya Yanar abzutun, wäre allerdings falsch.

Jilet Ayşe schaltet sich immer häufiger auch in aktuelle Debatten ein, vor allem wenn es um die Einwanderungsgesellschaft geht. Erst Ende Februar war Idil Baydar zu Gast in der Talkshow "Hart aber fair" und diskutierte etwa mit dem Bild-Zeitungshierarchen Nikolaus Blome über "Heimat Deutschland - nur für Deutsche oder offen für alle?" Als im vergangenen Sommer die Debatte um den Nationalspieler Mesut Özil lief, sprach die Kabarettistin im Deutschlandfunk über "makro-aggressive Angriffe auf den türkischen Gefühlt-Körper". Als die Frankfurter Anwältin Seda Başay-Yıldız Drohbriefe von "NSU 2.0" erhalten hatte, kritisierte Baydar Politik und Polizei, sie würden zu wenig unternehmen.

Und nun wurde sie selbst zum Opfer. Vor einigen Tagen erhielt die 44-Jährige Morddrohungen per SMS. Überrascht war sie nicht, an Hassnachrichten per Mail hatte sie sich ja fast schon gewöhnt, sagt Idil Baydar. Aber die anonymen SMS seien neu, darin drohen ihr die Absender damit, sie und ihre Mutter "abzuknallen". Sie solle sich aus Deutschland verpissen, solange sie noch lebend rauskomme. Auch wurde der Anschlag in Neuseeland erwähnt, bei dem ein rechtsextremer Terrorist fünfzig Muslime in einer Moschee getötet hatte. Unterzeichnet wurden einige SMS mit "SS-Obersturmbannführer".

Idil Baydar veröffentlichte die Nachrichten auf Facebook und beauftragte den Anwalt Mehmet Daimagüler, der als Vertreter der Opferfamilien im NSU-Prozess bereits vor Jahren Morddrohungen erhielt. Daimagüler stellte Strafanzeige, doch die Polizei gab Baydar ziemlich schnell zu verstehen, dass man die Absender oder Absenderinnen wohl nicht finden werde. "Wir haben kaum Gesetze, die Menschen wie mich vor rassistischen Drohungen schützen. Dabei ist Rassismus kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat", sagt Baydar. Die Stimmung im Land mache sie traurig, aber zurückziehen wolle sie sich nicht. Und sie schickt hinterher: "Ich bleibe dabei: Angst yok, Liebe var." ("Es gibt keine Angst, es gibt Liebe".)

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SZ vom 08.04.2019
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