Auf dem SPD-Parteitag Ende 2019 ist der Jubel groß: Die SPD hat beschlossen, die Hartz-IV-Gesetze zu reformieren, sie gelten in der Partei als vergiftet. Kameras fangen ein, wie Hubertus Heil am Rande des Parteitags persönlich verhandelt, welche Regeln künftig für Langzeitarbeitslose gelten sollten. Die „Sanktionen als Ekelwort“ kommen raus, sagt Heil, aber „Mitwirkungspflichten“ müssten bleiben. Er ist damals schon Minister für Arbeit und Soziales unter Schwarz-Rot – und setzt diesen Kompromiss mit den SPD-Linken durch.
In der Ampel ist dann so weit: Die SPD kann endlich Hartz IV abschaffen, das Bürgergeld wird Anfang 2023 eingeführt. Heil spricht im Bundestag von der „größten Sozialstaatsreform seit 20 Jahren“. Der Minister ist in der Lage, solche historischen Superlative aus eigenem Erleben zu schöpfen. Er zieht 1998 zum ersten Mal in den Bundestag ein, niemand von der SPD sitzt länger im Parlament als er.
Mit seiner ganzen Erfahrung und im Chefzimmer des mächtigen Arbeitsministeriums wollte er das Bürgergeld zu einem sozialdemokratischen Kassenschlager machen, mit dem die SPD neben der Rentenerhöhung und dem Mindestlohn in den Wahlkampf 2025 ziehen sollte. Das wird wohl nicht passieren. Das Bürgergeld ist politisch zu einem der größten Probleme der SPD geworden.
Gerade in Milieus, die der SPD wichtig sind, ist der Begriff Bürgergeld zum Unwort geworden. Facharbeiter fürchten, von ihren Steuern und Sozialabgaben würden es sich Langzeitarbeitslose gutgehen lassen. Bundeskanzler Olaf Scholz berichtete neulich von einem Handwerker, dessen Bruder sich wegen Bürgergeld nicht mehr aufraffe. Das hat die Opposition schon lange bemerkt: Die CDU lässt keine Gelegenheit vergehen, das Bürgergeld scharf anzugreifen, obwohl sie im Bundesrat der Reform selbst zugestimmt hat.
Den Ärger hat Heil nicht allein zu verantworten, es kam auch viel Pech dazu. Die Zahl der Bürgergeldempfänger steigt nahezu ausschließlich, weil so viele Ukrainer nach Deutschland gekommen sind. Unglücklich für die Ampel war auch, dass die hohe Inflation das Bürgergeld stark steigen ließ, stärker als die Löhne vieler Geringverdiener, die unter den steigenden Preisen litten. Manchen erscheint daher die Grundsicherung attraktiver als harte Arbeit. Das ist kein Massenphänomen, aber jede entsprechende Anekdote schadet der SPD.
„Wir sollten nicht alle über einen Kamm scheren“, sagt Heil dazu. Der Minister verteidigt die Reform mit Bedacht. Er wollte, sagte er vor Kurzem bei einem Bürgerdialog in Bautzen, die Debatte vom Kopf auf die Füße stellen: „Denn für die allermeisten, die im Bürgergeldbezug sind, ist das Thema Sanktionen keins.“ Stattdessen seien sie bemüht, einen Job zu finden, hätten es nur oft schwer auf dem Arbeitsmarkt, beispielsweise aufgrund von Erkrankungen. Zugleich betont er stets, offen für schärfere Sanktionen zu sein.
Mit diesen Argumenten dringt Heil zwar nicht in der Öffentlichkeit durch. Er schafft es aber, dass der Unmut über das Bürgergeld nicht ihn persönlich trifft. In der unbeliebten Ampelregierung steht er in Umfragen vergleichsweise ordentlich da. In der SPD gilt Heil als erfolgreicher und effizienter Minister, der der FDP das beliebte Rentenpaket und den Mindestlohn abgetrotzt hat. Ende 2023 wurde er als stellvertretender Parteivorsitzender wiedergewählt, mit dem besten Ergebnis aller Vizes.
Kanzler Scholz, Vizekanzler Robert Habeck (Grüne) und Vizevizekanzler Christian Lindner (FDP) haben Heil nun aufgetragen, beim Bürgergeld nachzusteuern. Die Ampelspitzen wünschen sich Sanktionen wie bei Hartz IV, härtere Zumutbarkeiten bei Jobs und selbst die Rückkehr der Ein-Euro-Jobs. Heil dagegen betont, man müsse vor allem Schwarzarbeit stärker bekämpfen. Zuständig dafür ist hauptsächlich der Zoll und damit: Christian Lindner.