Profil:Gendün Chökyi Nyima

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11. Pantschen Lama, seit zwanzig Jahren in der Hand des Pekinger Regimes.

Von Kai Strittmatter

Doch, es gibt Menschen, die wissen, wo Gendün Chökyi Nyima ist. Aus ihrem Kreis durfte man bisweilen diese beiden Sätze hören: Nyima sei "ein ganz normaler Junge". Und: Er führe "ein normales, glückliches Leben".

Ein ganz normales Leben. An diesem Sonntag sind es zwanzig Jahre her, dass Gendün Chökyi Nyima verschwand. Es gibt nur ein einziges, altes Foto, das den damals Sechsjährigen zeigt, noch immer taucht es auf Vermisstenplakaten der tibetischen Exilgemeinde auf. Heute ist er 26, sie nennen ihn ihr "gestohlenes Kind", sprechen von Kidnapping. Immer wieder machten sich welche auf die Suche, selbst hochrangige Vertreter der Vereinten Nationen. Vergebens. Zwanzig Jahre sind vergangen, und es gibt kein Lebenszeichen.

Wer also weiß um Nyimas Aufenthaltsort? Seine Mutter und sein Vater wohl, denn sie verschwanden mit ihm zusammen. Ganz sicher Chinas Sicherheitsbehörden, denn die ließen ihn verschwinden. "Zu seinem Schutz" und "auf Bitten der Eltern", wie China damals mitteilen ließ. Alle paar Jahre, wenn ein ausländischer Journalist oder Politiker in Peking nachfragt, dann gibt es einsilbige Antworten. Nyima, heißt es dann, sei "bei bester Gesundheit" und genieße eine "gute Erziehung". Im Übrigen bitte die Familie darum, "nicht gestört zu werden".

Ein ganz normaler Junge. Gendün Chökyi Nyima hatte gerade seinen sechsten Geburtstag gefeiert, als im Mai 1995 der Dalai Lama von seinem Exil in Indien aus verkündete, er, der kleine Junge aus der Gemeinde Lhari in der Autonomen Region Tibet, sei der neue, der 11. Pantschen Lama. Die Reinkarnation des 1989 verstorbenen 10. Pantschen Lama. Eigentlich hatte der Abt des Klosters Tashilumpo, der Führer des Suchtrupps, insgeheim die Erlaubnis der KP in Peking erhalten, beim Dalai Lama Rücksprache zu halten. Aber offenbar wollten die Parteiführer das letzte Wort haben. Auf die Erklärung des Dalai Lama reagierten sie schnell: Drei Tage später, am 17. Mai, verschwand der vom Dalai Lama auserkorene Junge. Und im November kürte sich die KP ihren eigenen Pantschen Lama: den ein Jahr jüngeren Gyaltsen Norbu.

Der Pantschen Lama ist im religiösen Universum der Tibeter der zweithöchste Würdenträger hinter dem Dalai Lama. Zu Zeiten war er sogar mächtiger als der Dalai Lama, dann, wenn dieser noch ein Kind war zum Beispiel. Die Kaiser in Peking haben die beiden schon früher gegeneinander ausgespielt. Eine Gelegenheit zu Manipulation und Intrige bot sich immer dann, wenn einer der beiden starb - der jeweils andere nämlich ist dann traditionell die entscheidende Figur bei der Suche nach der Reinkarnation des Verstorbenen. Der jetzige, der 14. Dalai Lama, seit seiner Flucht aus Tibet 1959 ein brennender Stachel im Fleisch der chinesischen Führung, feiert im Juli seinen 80. Geburtstag. Er selbst nannte die Installierung des Gegen-Pantschen-Lama 1995 eine "Generalprobe" für die viel wichtigere, vielleicht die entscheidende Schlacht um die Kontrolle Tibets: die Suche nach einer Reinkarnation für ihn, für den Dalai Lama.

Gyaltsen Norbu, der von den Kommunisten installierte Pantschen Lama, lässt kaum eine Gelegenheit aus, sich einen "Patrioten" zu nennen - einen chinesischen wohlgemerkt. Als er vorigen August zwei Klöster im tibetischen Namling besuchte, trieben die Behörden die Bewohner umliegender Dörfer unter Androhung von Strafen zum Jubeln herbei.

Derweil hört man weiter von Tibetern, die sich selbst anzünden aus Protest gegen die Repression durch China und das, was sie als Zerstörung ihrer Kultur und Religion empfinden. Am 17. April berichteten Exiltibeter von der 139. Selbstverbrennung, dieses Mal in der Region Ngaba: Der 45-jährige Nyi Kyab habe, während er schon brannte, Chinas Regierung um zwei Dinge gebeten: die Rückkehr des Dalai Lama, und die Freilassung Gendün Chökyi Nyimas, eines heute 26-jährigen Mannes.

© SZ vom 16.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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