Profil:Fazıl Say

Fazil Say

Fazil Say.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)

Von Erdoğan beehrter Pianist inmitten des türkischen Kulturkampfs.

Von Christiane Schlötzer

Von Recep Tayyip Erdoğan heißt es, er möge Arabesk - eine orientalische Musikrichtung mit schnulzigen Texten, Macho-Musik für Männer mit schwarzen Schnauzern, und dabei sehr populär. Für Fazıl Say ist Arabesk "reaktionär", musikalischer "Schund". So hat er gesagt. Das ist eine Weile her, aber Erdoğan war schon an der Macht. Say hat sich immer wieder über die Konservativen in seinem Land erregt. Als er sich auf Twitter über die Paradiesvisionen der Frommen lustig machte, mit den Worten eines persischen Dichters aus dem 11. Jahrhundert ("Ist das Paradies etwa ein Bordell"), musste er in Istanbul vor Gericht, wegen "Verletzung religiöser Werte". Zehn Monate Haft auf Bewährung lautete das Urteil. Erst in dritter Instanz wurde er 2016 freigesprochen.

Am Freitagabend saß der türkische Präsident Erdoğan in der ersten Reihe eines großen Konzertsaals in Ankara, Frau Emine mit leuchtend gelbem Kopftuch an der Seite, und auf der Bühne spielte Say seine Troja-Sonate, eine Komposition mit lyrischen wie dramatischen Passagen und hämmernden Bässen. Es war eine Premiere, weil nicht bekannt ist, dass Erdoğan je zuvor ein Klavierkonzert besucht hätte. Klassische Musik - Mozart oder Beethoven, Komponisten, die der in Ankara, Düsseldorf und Berlin ausgebildete Say glänzend interpretiert - gilt Konservativen in der Türkei als zu westlich. Umso mehr wird sie von Säkularen als Nachweis von Aufgeklärtheit geschätzt.

Als bekannt wurde, dass Say den Präsidenten zu einem Konzert eingeladen hatte, entspann sich ein Kulturkampf. Ein bekannter Schauspieler sagte, es könne Erdoğan nur guttun, wenn er mal Mozart höre. Eine linke Zeitung schlug dazu die Pauke: Auch ein Bier solle Erdoğan ab und an trinken, dann wäre die Türkei "ein besserer Ort". Erdoğan reagierte fortissimo: "Den Präsidenten dieses Landes dazu zu zwingen, ein Bier zu trinken oder Mozart zu hören, ist faschistisch."

Bis kurz vor Konzertbeginn am Freitag war unklar, ob Erdoğan tatsächlich kommen würde. Er kam, applaudierte stehend, trat auf die Bühne und überreichte dem "lieben Fazıl" als Geschenk eine Platte des Volkssängers Aşık Veysel (1894 - 1973), der ein bekanntes Liebeslied schrieb: Kara Toprak ("Schwarze Erde"), türkischer Blues. Auch Say spielte seine Version in dem Konzert und ließ den Flügel wie ein Saiteninstrument klingen. Der letzte Ton war noch nicht verklungen, da begann schon das Nachspiel in den sozialen Medien.

Eine regierungsnahe Kommentatorin pries Erdoğans Auftritt als versöhnliche Geste, als "Gegengift gegen die Polarisierung". Regierungskritiker witterten dagegen ein "Wahlkampfwunder", weil es im März landesweit Kommunalwahlen gibt und die AKP Stimmverluste befürchte. Say wurde beschimpft, als "Hofkapellmeister Erdoğans". Verstimmt waren aber auch hartgesottene Islamisten. Einer twitterte: "Erdoğan hat uns das Herz gebrochen", weil er das Konzert eines Atheisten besucht habe. Says Glaubensbekenntnis lautet: Jeder glaubt an irgendetwas, an Liebe, Musik oder das Universum.

Say, 49, wuchs in einem westlich geprägten Elternhaus in Ankara auf, sein Vater war Musikwissenschaftler. Says Ausnahmetalent wurde früh erkannt. Die Türkei mit ihrem kulturellen Reichtum und ihrer Zerrissenheit nennt er seine Inspiration. Eine Zeit lang lebte er in New York, zog aber nach Istanbul zurück, wo seine 18-jährige Tochter lebt. Die Istanbuler Gezi-Park-Proteste verarbeitete er in einem Musikzyklus, den er 2017 in Salzburg spielte. Bisweilen hatte er Probleme, seine Stücke in der Türkei aufzuführen. Gewöhnlich sind seine Konzerte aber auch hier sofort ausverkauft. Als Says Mutter im August 2018 starb, kondolierte auch Erdoğan. Da lud Say ihn in das Konzert ein, und Erdoğan brachte sein halbes Kabinett mit, als wäre es ein Staatsakt. Nun soll Say im Präsidentenpalast spielen. Das dürfte wieder ein Tschingderassabum geben.

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