Profil:Doris Wagner

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(Foto: Maxim Abrossimow)

Die ehemalige Nonne schreibt als Missbrauchsopfer gegen das Vergessen an.

Von Matthias Drobinski

Es ist wie in einem Tunnel, durch den man rast und in dem man nicht nach links und rechts schaut, es geht von der Podiumsdiskussion zum Radiointerview und zum Fernsehauftritt; daneben Mann, Kind, Vollzeitjob, Promotion. Sie sei "am Rande", sagt Doris Wagner. Aber jetzt sei er halt da, der "Kairos": der Moment, an dem sich etwas entscheidet, wendet. "Ich weiß, dass Priester und auch Bischöfe das getan haben", hat der Papst gerade gesagt, auf dem Rückweg von Abu Dhabi nach Rom. Es war die Antwort auf die Frage, was Franziskus gegen die sexuelle Gewalt von Priestern gegen Nonnen zu tun gedenke. Er hat benannt, was ihr widerfahren ist: den spirituellen, seelischen und dann auch körperlichen Missbrauch im Namen des Herrn.

Und so erzählt sie wieder und wieder ihre Geschichte, die sie 2014 als Buch veröffentlicht hat; ruhig, klar, strukturiert - eigentlich müsste sie der heilige Zorn packen, sagt sie, aber so sei sie nicht gestrickt. Doris Wagner entstammt einer frommen, zum Katholizismus konvertierten Familie. Mit 15 Jahren ist ihr klar: Sie will ins Kloster gehen. Ein Jahr vor dem Abitur begegnet sie einer jener geistlichen Gemeinschaften, die von den Päpsten Johannes Paul II. und Benedikt XVI. als Zukunft der Kirche angesehen wurden, weil sie einen streng konservativen Katholizismus mit charismatischer Begeisterung verbinden. Sie tritt ein, wird nach Rom geschickt - und verliert Schritt um Schritt den Kontakt zur Welt und dann auch zu ihrer Persönlichkeit.

Sie putzt, wäscht Teller ab, begrüßt Besucher, steht grenzenlos zur Verfügung. Eine gute Nonne opfert sich auf, ohne zu klagen. Sie lässt sich vorschreiben, was sie zu denken und wie sie zu gehen und zu reden hat. "Ich hatte keine Wünsche und keine Pläne", sagt sie heute, "ich hatte gelernt: Was die Oberen sagen, kommt von Gott, und es ist gut, auch wenn ich es nicht verstehe." Irgendwann, so ihr Vorwurf, verfügen die geistlichen Machthaber auch über ihren Körper. Ein Ordensmann, Mitglied der Glaubenskongregation, habe sie während der Beichte bedrängt. Und da sei der Pater gewesen, der sie in ihrem Zimmer einfach ausgezogen habe - sie habe das wie gelähmt über sich ergehen lassen. "Als er um drei Uhr ging, ließ er nicht mich zurück, sondern eine leere Hülle", schreibt sie in ihrem Buch. Ihr erster Impuls: Das darfst du niemandem erzählen, das schadet der Kirche.

Als sie 2011 mit 28 Jahren die Gemeinschaft verlässt, ist sie depressiv, fast mittellos, ohne soziale Kontakte. Die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit geht aber weiter: Die Gemeinschaft widerspricht ihrer Darstellung; der Pater, dem sie Vergewaltigung vorwirft, spricht von einvernehmlichem Sex. Anzeigen bleiben erfolglos. Erst jetzt, Ende Januar 2019, hat der Mitarbeiter der Glaubenskongregation, der sie während der Beichte bedrängt haben soll, den Posten geräumt. Er erklärt in einer Pressemitteilung, dass die Vorwürfe nicht zuträfen.

Erst jetzt hören ihr auch die Kirchenvertreter zu. Der Bayerische Rundfunk hat ein Vier-Stunden-Gespräch mit ihr und dem Wiener Kardinal Christoph Schönborn organisiert, es ist ein beeindruckendes Dokument, in dem ein um Worte ringender Kardinal zugibt, dass das Priester- und überhaupt das Selbstbild der katholischen Kirche sich dringend ändern müsse. "Glauben Sie mir?" fragt Doris Wagner den Kardinal. "Ich glaube Ihnen", antwortet Schönborn. "Ohne Kamera hätte ich geheult", sagt sie.

Sie hat nun ein Buch über spirituellen Missbrauch geschrieben, der für sie die typisch katholische Quelle der Gewalt ist. Sie will für die anderen missbrauchten Nonnen eintreten, deren Schicksale bislang totgeschwiegen wurden. Gab es nicht schon 2001 erschütternde Berichte über Klöster, die den geistlichen Herren Nonnen quasi auf Bestellung lieferten, und nichts geschah? Mitte Februar ist sie in Rom, die nächste Tagung. Ein paar Tage später treffen sich dort die Bischofskonferenzvorsitzenden aus aller Welt, um über den Missbrauch zu reden, "vier Tage - was soll sich da groß ändern?" Die Hoffnung mag Doris Wagner trotzdem nicht aufgeben.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Textes wurden die Vorwürfe gegenüber den erwähnten Patres verwechselt: Tatsächlich bezogen sich die Schilderungen im Beichtstuhl auf den nun zurückgetretenen Mitarbeiter der Glaubenskongregation; ihr Erlebnis in ihrem Zimmer bezog sich auf den anderen erwähnten Pater.

© SZ vom 08.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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