Süddeutsche Zeitung

Profil:Christine Lambrecht

Justizministerin mit großer Kenntnis im Fach, auf Umwegen zum Ziel.

Von Mike Szymanski

Es wurde höchste Zeit, dass die SPD eine Nachfolgerin für Katarina Barley als Justizministerin präsentiert. Das muss auch Christine Lambrecht klar gewesen sein. Als die hessische Abgeordnete am Mittwoch ihren ersten öffentlichen Auftritt als künftige Justizministerin absolvierte, hielt sie sich nicht lange damit auf, ihre Freude über diesen Karriereschritt zum Ausdruck zu bringen. Klar, die Beförderung sei "ein Gänsehautmoment" in ihrem Leben. Aber dann ging sie auch schon zur aktuellen Politik über. Die Zeiten sind beunruhigend. Der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke ist durch einen mutmaßlich rechtsextremen Täter umgebracht worden. Womöglich hatte dieser Komplizen. Lambrecht erinnert das an die NSU-Mordserie. Sie sagte: Rechter Terror dürfe "nie wieder" zu Angst führen, das sei "Teil unserer Staatsräson".

Das waren überaus klare Worte für die Neue, die noch gar nicht im Ministeramt angekommen ist. Offiziell soll sie erst in der kommenden Woche ernannt werden. Aber in der Rechts- und Innenpolitik kennt sich die 54-jährige Sozialdemokratin nun einmal aus. Da braucht niemand Christine Lambrecht "auf Flughöhe" zu bringen, wie Turbo-Lernprogramme im Politikbetrieb gerne genannt werden. Seit Lambrecht 1998 in den Bundestag kam, hat sie sich mit kaum etwas intensiver auseinandergesetzt als mit diesen Themen - sei es als Mitglied des Rechtsausschusses oder als rechtspolitische Sprecherin.

Sterbehilfe, Patientenverfügung, Kinderschutzrechte, Reform des Sexualstrafrechts, Frauenquote oder die Öffnung der Ehe - lag alles schon mal auf dem Schreibtisch der Rechtspolitikerin. Dass dies ein wenig in Vergessenheit geraten ist, liegt daran, dass Lambrecht zuletzt als parlamentarische Staatssekretärin im Finanzministerium gearbeitet hat, bei Parteikollege Olaf Scholz. Manchmal nehmen politische Karrieren seltsame Umwege.

Lambrecht gilt als ehrgeizig und durchsetzungsstark. Sie ist in der Lage, sich schnell in neue Themen einzuarbeiten. Kanzlerin Merkel kennt sie, weil Lambrecht schon wiederholt Vizekanzler Scholz auf der Regierungsbank im Bundestag vertreten hat. Außerdem hatte sie an der Seite von Scholz die Kapitel Steuern und Finanzen für den Koalitionsvertrag mit ausgehandelt. Jetzt ist Christine Lambrecht dort angekommen, wo sie sich vermutlich selbst schon nicht mehr gesehen hat: An der Spitze des Justizressorts. Sie hatte Geburtstag am Mittwoch, als sich Malu Dreyer, eine der drei kommissarischen SPD-Übergangschefs, bei ihr meldete. Nicht nur, um zu gratulieren, wie Lambrecht erzählte. Auch, um ihr dieses Amt anzubieten.

Auch wenn Lambrecht sich als eine gute Wahl in diesem Amt herausstellen sollte - erste Wahl war sie für die SPD keineswegs. Lange schon war klar, dass die SPD eine Nachfolgerin für Barley braucht, wenn diese nach der Europawahl nach Brüssel wechselt. Die Partei hätte gerne mit einer Politikerin überrascht, die auf der Berliner Bühne noch nicht so bekannt ist: Nancy Faeser etwa, Juristin und die kommende starke Frau der SPD in Hessen. Oder Stefanie Hubig, Bildungsministerin in Rheinland-Pfalz. Sie arbeitete bis 2016 als Staatssekretärin im Berliner Justizministerium. Beide hätten jedoch sichere Ämter und Mandate in den Ländern für eine unsichere Zukunft in Berlin aufgeben müssen. Nach dem Rückzug von Andrea Nahles als Parteichefin ist ungewiss, wie lange die große Koalition noch hält.

Für Lambrecht macht das keinen Unterschied - auch im alten Job hätte sie bangen müssen. Eine gewisse Sicherheit gibt ihr jedoch ihr Bundestagsmandat. Die Sympathie für sie in der SPD ist sehr unterschiedlich ausgeprägt, das gilt besonders für die Fraktion. In ihrer Zeit als Parlamentarische Geschäftsführerin machte sie sich nicht nur Freunde. Manche vermissten Angriffslust. Im Ministeramt dürfte ihr nicht viel Zeit bleiben, ihr Können unter Beweis zu stellen. Aber das liegt dann nicht an ihr.

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Quelle:
SZ vom 21.06.2019
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