Oberammergauer Passionsspiele:Gestatten, der neue Judas

Oberammergauer Passionsspiele: Cengiz Görür, Darsteller des Judas bei den Oberammergauer Passionsspielen 2020

Cengiz Görür, Darsteller des Judas bei den Oberammergauer Passionsspielen 2020

(Foto: Sebastian Beck)

Céngiz Görür ist der erste Muslim, der bei den Passionsspielen in Oberammergau eine Hauptrolle übernimmt. Und dann diese.

Von Monika Maier-Albang

Nein, er sieht nicht so aus, wie sich der Bayer gemeinhin den Türken vorstellt. Céngiz Görür hat grüngraue Augen, einen blonden Undercut, und weil die Haare im Nacken so kurz sind und er im immerfrostigen Passionstheater nur ein weißes Hemd trägt - so viel Coolness muss sein -, friert Görür während des Gottesdienstes. Bei der ökumenischen Feier am Samstag haben die Oberammergauer ihr Gelübde erneuert, auch im Jahr 2020 wieder die Passionsspiele aufzuführen, die seit 1634 mit Ausnahmen und Unterbrechungen alle zehn Jahre stattfinden.

Céngiz Görür sitzt da schon in der ersten Reihe, weiß nur, dass er mitspielen wird, aber noch nicht, welche Rolle ihm zugedacht ist. Das erfährt er später auf dem sonnigen Vorplatz: Judas, der Apostel, dessen Namen bis heute kein Kind trägt. "Da hab ich schon geschluckt", sagt Görür. Er ist der erste Muslim, der bei den Passionsspielen eine Hauptrolle übernimmt. Und dann diese.

Görür, 18 Jahre alt, ist gebürtiger Oberammergauer. Er erfüllt die Voraussetzung, die zur Teilnahme berechtigen: Oberammergauer qua Geburt müssen die Darsteller sein, oder seit 20 Jahren im Ort leben. Die Familie Görür wohnt seit 1971 in der Gemeinde. Bei der Verkündung jubeln bei Görür nicht weniger Leute als bei den anderen - "der Céngiz" sei ein Hiesiger, sagen die Umstehenden, Muslim hin, türkischer Vater her. Im Grün-Wahlwunderland Bayern hat sich, so scheint es, auch außerhalb der Großstädte einiges normalisiert.

Was in diesem Fall allerdings auch am Passionsspielleiter Christian Stückl liegt, der die Oberammergauer gern bis zur Schmerzgrenze fordert. Als er 1990 zum ersten Mal einen Protestanten mitspielen ließ, erinnert sich Stückl, habe ihm der Ortspfarrer noch den Weltuntergang prophezeit. Mehr als am muslimischen Judas reiben sich viele Oberammergauer ohnehin am Intendanten, der ihnen zu umtriebig ist und zu viel Professionalität ins Laienspiel trägt.

Für Stückl ist die Passion auch Talentschmiede. Viele der Darsteller, die ihn nach der Bekanntgabe wie eine Boygroup umrahmen, sind sehr jung, aber schon Stückl-geschult. Auch Céngiz Görür wirkte im Sommer beim "Wilhelm Tell" in Oberammergau mit, 2016 ebenfalls in "Kaiser und Galiläer". 2020 wird er sein Abitur machen, nebenbei. Schon jetzt steht der "Herr der Ringe"-Fan wie ein Profi auf der Bühne. "Er ist einfach ein guter Schauspieler", sagt Stückl. Und die Rolle des Judas sei eine der schwierigsten. Wobei Stückl, der seit Jahren antisemitische Tendenzen aus der Passion tilgt, Judas nicht als Verräter gedeutet wissen will. Eher als den Jünger, der sich aus Frust abwandte, "vielleicht der engste Freund Jesu". Da passt es gut, dass Görür und Rochus Rückel, der den Jesus darstellen wird, im Gottesdienst nebeneinandersitzen und sich sichtlich gut verstehen. Auch Stückls zweiter Spielleiter Abdullah Karaca ist Muslim; er bekommt mit dem Nikodemus ebenfalls eine wichtige Rolle.

Fromm sei er nicht, sagt Céngiz Görür. Bei ihm daheim wird zwar kein Schweinefleisch gegessen, aber das eher aus Tradition. Fasten? Nein. Aber man weiß um die muslimischen Feiertage. Es gibt in Oberammergau keine Moschee, die nächstgelegene ist in Garmisch, sie sind ja nur eine Handvoll türkische Familien hier.

Görürs Großvater stammt aus Bursa, einer Millionenstadt am Marmarameer, 1965 kam er als Gastarbeiter nach Murnau in den Landkreis Garmisch-Partenkirchen, fand Arbeit als Koch in der Kaserne. Der Vater, Erol Görür, betreibt das Hotel Ammergauer Hof. Jedes Jahr besucht man die Verwandtschaft in Bursa, hält den Kontakt in die Heimat der Alten und fühlt sich zugleich als Oberammergauer. Und die Oberammergauer? Haben lange gefremdelt mit ihren Zugezogenen. Er hätte gern als Erwachsener mitgespielt bei der Passion, sagt Erol Görür, der Vater. "Aber das ging nicht. Da war ich der Muslim." Die Ernennung des Sohnes freut ihn umso mehr. Er sieht sie als Zeichen, dass die Zugewanderten jetzt wirklich dazugehören.

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