Süddeutsche Zeitung

Profil:Celso de Mello

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Richterlegende in Brasilien, die sich Bolsonaro widersetzt.

Von Christoph Gurk

Es gibt eine Episode in Celso de Mellos Leben, die ganz gut beschreibt, wofür er steht: Damals, im August 1989, war der Brasilianer gerade als Richter an das Supremo Tribunal Federal berufen worden, das oberste brasilianische Bundesgericht. Celso de Mello war am Höhepunkt seiner Karriere angelangt, mit gerade einmal Mitte 40. Grund genug also, um zu feiern, und andere hätten vielleicht eine große Party geschmissen, einen Empfang veranstaltet oder zumindest zu einem festlichen Dinner geladen. Celso de Mello aber packte seine Familie ins Auto und fuhr mit ihnen zum Essen, nicht in eines dieser feinen Restaurants, sondern zu einem McDonald's. Burger, Pommes und Coca-Cola, um auf ein neues Leben anzustoßen.

31 Jahre sind seitdem vergangen und nun, am 13. Oktober, wird Celso de Mello in Rente gehen. Sein Ruhestand wird dabei eine Lücke reißen, die umso größer ist, als die Zeiten unruhig sind. Denn Celso de Mello gilt nicht nur als wandelndes Jura-Lexikon, als Gerichtslegende und Verfechter einer unabhängigen Justiz. Er ist heute auch einer der prominentesten Gegner von Jair Bolsonaro, dem ultra-rechten Präsidenten Brasiliens, der den Rechtsstaat mindestens aushöhlen will und offen mit einer Machtübernahme der Militärs kokettiert.

Anders als viele junge Brasilianer kann sich Celso de Mello noch daran erinnern, wie es war, als die Generäle herrschten. Damals, 1970, war er gerade zum Staatsanwalt ernannt worden und das Land steckte mitten in den sogenannten bleiernen Jahren. Die Presse war zensiert, Menschen verschwanden und wenn sie Glück hatten, tauchten sie irgendwo in einem Straßengraben wieder auf, den Körper voller Folterwunden. Celso de Mello kritisierte das alles öffentlich, obwohl klar war, dass dies seiner bis dahin steilen Karriere erst mal schaden würde.

1985 kehrte in Brasilien dann die Demokratie zurück, 1988 wurde eine neue Verfassung verabschiedet und nicht einmal ein Jahr später wurde Celso de Mello zu einem ihrer obersten Hüter.

Die Zeiten aber wurden nicht einfacher: So erschütterte in den Nullerjahren der sogenannte Mensalão-Skandal das Land. Die regierende Arbeiterpartei hatte im großen Stil Abgeordnete anderer Parteien bestochen. Über Jahre hinweg war der Oberste Gerichtshof mit der Aufarbeitung beschäftigt. Kaum hatte er ein Urteil gesprochen, kam der nächste Skandal: Lava Jato, ein Korruptionsnetz, mit noch weitreichenderen Verbindungen. Viele Brasilianer verloren jeden Glauben in die Politik. 2016 gipfelte der Unmut erst in einem umstrittenen Amtsenthebungsverfahren gegen die linke Präsidentin Dilma Rousseff, welches auch das Oberste Gericht nicht aufhalten konnte oder wollte. Zwei Jahre später wurde dann bei den Wahlen ein vermeintlicher Außenseiter ins Amt gewählt: Jair Bolsonaro.

Seit er an der Macht ist, hat sich das Oberste Gericht immer wieder gegen ihn gestellt. Und im April hat Celso de Mello sogar einer Untersuchung stattgegeben gegen den Präsidenten persönlich, wegen Einflussnahme auf die Justiz. Bolsonaro-Anhänger fordern seitdem die Auflösung des Obersten Gerichts und eine Machtübernahme der Militärs, es kam zu Schlägereien und Großdemos. Einen Mann wie Celso de Mello könnte man heute also mehr brauchen denn je. Ihm aber bleibt keine Wahl: In ein paar Wochen wird er 75, das obligatorische Ruhestandsalter für Staatsbedienstete in Brasilien.

Seinen Posten darf nun Jair Bolsonaro nachbesetzen. Entgegen aller guten Sitten hat er auch schon seinen Wunschnachfolger bekannt gegeben, Kássio Nunes Marques, ein Konservativer, aber wohl kein Radikaler, immerhin.

Schon zu seinem 30-jährigen Dienstjubiläum soll Celso de Mello sich gegen alle Versuche gewehrt haben, eine große Feier ihm zu Ehren zu veranstalten. Und vermutlich wird er auch jetzt nur im kleinen Kreis feiern, vielleicht sogar in einem Schnellrestaurant.

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Quelle:
SZ vom 05.10.2020
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