Süddeutsche Zeitung

Profil:Brenda Hale

Rockstar des Supreme Court und Feministin.

Von Cathrin Kahlweit

Lady Hale ist mit 74 Jahren die älteste unter den Richtern, die seit Dienstag ihre Tage im Hauptsitzungssaal des Supreme Courts verbringen, den Berühmtesten ihres Fachs zuhören - und Anfang kommender Woche ein Urteil fällen werden. Eigentlich war das höchste Gericht des Landes noch in der Sommerpause gewesen. Aber der Fall, den es zu verhandeln gilt, wurde als so wichtig angesehen, dass Hale die Kollegen vorzeitig einbestellte. Schließlich geht es im Kern um die Frage: Darf der Premierminister das Parlament wochenlang in eine Zwangspause schicken? Und darf er das Unterhaus ausschalten, weil es womöglich seine Pläne stört?

Hale sitzt mit gleich zehn Höchstrichtern in der Verhandlung. Das sind ungewöhnlich viele, was ebenfalls davon zeugt, dass der Supreme Court dem Fall grundsätzliche Bedeutung beimisst: Ein Gremium aus elf Richtern hatte über die Klage der Unternehmerin Gina Miller nach dem Referendum 2016 beraten. Miller hatte gefordert, das Parlament, und nicht die Regierung, müsse das Recht haben, den Brexit-Prozess in Gang zu setzen und dabei maßgeblich mitzureden. Sie bekam recht. Ein Omen?

Brenda Hale steht dem Gericht mit Geduld und Charme vor, sie lächelt viel, verteilt freundliche Rügen bei Zeitüberschreitungen der Redner, schaufelt ihre Stifte und ihre Papiere hin und her, als räume sie daheim den Schreibtisch auf - aber was sie denkt, zu welcher Position sie in diesem aufsehenerregenden Fall neigt, das weiß niemand. Ein einziges Mal hat Brenda Hale, die 2004 als Baroness Hale of Richmond ins Oberhaus des britischen Parlaments eingezogen war, ihre Meinung zum Brexit-Prozess ausgesprochen: Das Referendum von 2016, so die Lehrertochter aus Leeds, sei als Volksabstimmung nicht "rechtlich bindend" gewesen. Eigentlich ein bekanntes Faktum - aber weil sie es betonte, wurde es als möglicher Hinweis gewertet, dass Hale dem Ergebnis, dem Brexit, kritisch gegenübersteht.

Sie hat jahrelang in Teilzeit als Anwältin gearbeitet, weil sie nebenher an der Universität Manchester Recht lehrte. Als sie sich ihrer Arbeit als Richterin schließlich in Vollzeit widmete, ging es mit ihrer Karriere so steil bergauf, dass selbst ihr manchmal schwindelig geworden sein dürfte: erste und jüngste Frau in einer Kommission, die wichtige Reformen im Familienrecht kontrolliert, dann eine von zwei Frauen am höchsten Berufungsgericht, Mitglied des wichtigen Privy Council, eines Beratungsgremiums der Queen. Immer weiter, immer höher, und oft war Hale die einzige Frau. Mittlerweile ist sie am 2009 eingerichteten Supreme Court. Im Januar wird sie in den Ruhestand gehen, dann wird sie zwei Jahre lang Chefin des Gerichts gewesen sein - auch das, natürlich, als erste Frau auf diesem Posten. Muss man erwähnen, dass Hale eine glühende Feministin ist? Und dass das ganze Land derzeit staunend auf die zugleich zarte und mächtige Dame schaut, die womöglich das Geschick des Premierministers in der Hand hat?

In einer Rede über das für die Suffragetten-Bewegung entscheidende Jahr 1919, von dem an Frauen Recht studieren konnten, forderte sie, dass die Rechtswissenschaften diverser und weiblicher werden müssten. Nur so könnten sie das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Mindestens die Hälfte aller Richter sollten weiblich sein. Hale sagte, sie schäme sich nicht, sich als Feministin zu bezeichnen. Jeder solle ein Vorkämpfer für Frauen sein. Wer argumentiere, für viele Positionen sei es schwer, die geeigneten Frauen zu finden, "der sucht nicht gut genug".

Kolleginnen schreiben ihr einen Rockstar-Status in der Branche zu - was sich in ihrem Verhalten jedoch nicht spiegelt. Lady Hale gilt als hart in der Sache, aber auch als warm, bescheiden und fleißig. Eine kleine Ablenkung vom Alltag, über die sie selbst lächelt, hat sie sich aber doch geleistet: Sie hat 2018 in der Jury einer Kochshow gesessen und einen Preis für gutes Essen vergeben.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2019
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