Süddeutsche Zeitung

Neuer Regierungschef in der Türkei:Erdoğans treuer Knappe

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Auf dem Papier wird der designierte Premier und AKP-Chef Binali Yıldırım mächtige Posten bekleiden. In Wirklichkeit soll er die eigene Entmachtung vorantreiben.

Von Luisa Seeling

Es ist ein merkwürdiger Job, den Binali Yıldırım übernehmen soll. Die türkische Regierungspartei AKP hat den 60-jährigen Verkehrsminister für ihren Vorsitz und damit auch als neuen Regierungschef nominiert - eigentlich mächtige Ämter, auf dem Papier zumindest. In Wirklichkeit ist die Bedeutung der Posten immer mehr zusammengeschrumpft, seit der frühere Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan 2014 zum Staatschef gewählt wurde. Er ist der starke Mann in der Türkei, die Regierung solle vor allem "kooperieren", wie es in AKP-Kreisen so schön heißt. Anders ausgedrückt: Yıldırım soll sich unterordnen.

Und nicht nur das. Erwartet wird außerdem, dass Yıldırım aktiv an seiner eigenen Entmachtung mitwirkt, indem er den von Erdoğan ersehnten Wechsel zu einem Präsidialsystem vorantreibt. Dann läge die Entscheidungsgewalt auch formal beim Präsidenten, der Regierungschef wäre nur noch Erfüllungsgehilfe.

Yıldırıms Vorgänger, der zurückgetretene Premier Ahmet Davutoğlu, wollte sich mit dieser Nebenrolle nicht zufriedengeben. Er setzte eigene Akzente, vor allem in der Außenpolitik. Binali Yıldırım ist eine viel passendere Besetzung: Sein Ehrgeiz ist mäßig, er ist Präsident Erdoğan gegenüber unbedingt loyal und - anders als der "Profesör" Davutoğlu - kein Intellektueller, sondern ein Parteimann, der in der AKP über soliden Rückhalt verfügt.

Erdoğans treuer Knappe

Mit Erdoğan arbeitet Yıldırım schon lange gut zusammen. Während Erdoğans Zeit als Istanbuler Oberbürgermeister in den Neunzigerjahren leitete der Schiffsbauingenieur aus dem osttürkischen Erzincan die städtische Schnellbootflotte. 2001 war Yıldırım Gründungsmitglied der islamisch-konservativen AKP; nach deren Regierungsübernahme 2002 war er insgesamt elf Jahre lang Verkehrsminister und betreute etliche Großbauprojekte, etwa die Bosporus-Untertunnelung. Auf Wunsch seines Regierungschefs bewarb sich Yıldırım vor zwei Jahren um den Bürgermeisterposten in Izmir - ein aussichtsloses Unterfangen, die Stadt ist seit jeher eine Hochburg der säkularen CHP. Nach verlorener Schlacht setzte Erdoğan seinen treuen Knappen wieder als Verkehrsminister ein.

Beim Sonderparteitag der AKP am Sonntag soll Yıldırım zum Parteichef gewählt werden. Überraschungen sind nicht zu erwarten, einen Gegenkandidaten gibt es nicht. Danach wird Erdoğan den neuen Vorsitzenden wohl rasch mit der Bildung einer Regierung beauftragen. Man darf annehmen, dass diese ganz nach Erdoğans Wünschen ausfallen wird.

In einer Ansprache am Donnerstag versprach Yıldırım einen harten Kampf gegen den Terrorismus. "Wir werden die Geißel des Terrors von der Tagesordnung der Türkei entfernen", sagte er mit Blick auf die kurdische PKK. Wie er sein Amt ausfüllen will, sagte er auch. "Wir werden in vollkommener Harmonie auf allen Ebenen mit unseren Parteikollegen zusammenarbeiten." Das gelte vor allem für den "Gründer und Anführer" Erdoğan.

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Quelle:
SZ vom 20.05.2016
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