Süddeutsche Zeitung

Profil:Beate Klarsfeld

Sie ohrfeigte 1968 einen Kanzler. Einst verfemt, wird sie heute als Aufklärerin verehrt.

Von Nadia Pantel

Bei ihrem letzten Besuch im Deutsch-Französischen Jugendwerk kam die Polizei. Es war der Mai 1968, und Beate Klarsfeld nutzte die revolutionäre Stimmung in der Stadt, um das Pariser Büro der binationalen Organisation zwei Tage lang zu besetzen. 51 Jahre später warten auf Klarsfeld nicht die Ordnungshüter, sondern ein Blumenstrauß - und eine lange ausstehende Entschuldigung.

Klarsfeld wurde berühmt, weil sie im November 1968 auf einem CDU-Parteitag den Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger ohrfeigte. "Es war die Ohrfeige der Tochter für den Vater", sagt Klarsfeld heute. 29 Jahre war Klarsfeld alt, als sie die Hand gegen Kiesinger erhob, um die selbstgerechte Trägheit zu beenden, mit der die Bundesrepublik einen früheren Unterstützer des Nationalsozialismus als Regierungschef akzeptierte. "Ich bin 1939 geboren, aber trotzdem spüre ich als Deutsche eine Verantwortung", sagt Klarsfeld: eine Verantwortung aufzuklären. Wegen genau dieses Gefühls einer moralischen Zuständigkeit griff Klarsfeld nicht nur zum Mittel der Ohrfeige, sie verlor auch ihren Job.

Von 1964 an war Klarsfeld beim Deutsch-Französischen Jugendwerk als Sekretärin beschäftigt. Am 29. August 1967 wurde ihr gekündigt, weil sie "gegen das Personalstatut der Treuepflicht" verstoßen habe. Ihr Vergehen: Sie hatte im Juli 1967 einen Artikel in der französischen Zeitschrift Combat veröffentlicht, in dem sie über den Kanzler Kiesinger schrieb, er habe sich "in den Reihen der Braunhemden einen ebenso guten Ruf erarbeitet wie in denen der Christdemokraten". Eine unzulässige politische Einmischung, urteilte das Jugendwerk und warf die Frau hinaus, die heute als moralische Instanz gilt. Als eine der Personen, die Deutschland dazu gezwungen haben, sich mit den Verbrechen und Verbrechern der Nazizeit auseinanderzusetzen.

"Sie sind für uns heute ein Vorbild", sagt Tobias Bütow, Generalsekretär des Deutsch-Französischen Jugendwerks, am Montag, als er vor versammelter Belegschaft Beate Klarsfeld um Entschuldigung bittet. Klarsfeld sitzt höflich lächelnd zwischen Bütow und ihrem Mann Serge Klarsfeld und beschreibt dann die Reaktionen auf ihren Rauswurf. "Wir waren einsam, einsam, einsam", sagt Klarsfeld. Die Kollegen hätten ihr den Rücken zugedreht, statt sich von ihr zu verabschieden. "Wir waren unfassbar wütend", sagt Serge Klarsfeld, "der Rauswurf war für uns der Beginn unserer Kampagne gegen Kiesinger, die dann zur Ohrfeige führte."

Die Geschichte der Klarsfelds ist auch die Geschichte einer gemeinsamen Politisierung. Die Deutsche kam 1960 als Au-pair-Mädchen nach Paris und lernte dort Serge Klarsfeld kennen, einen jüdischen Franzosen, der sich als Kind vor den Nationalsozialisten hatte verstecken müssen und dessen Vater in Auschwitz ermordet worden war. "Unsere Hochzeit war unser erster Triumph über die Nazis", sagt Serge Klarsfeld. Beate Klarsfeld erzählt, wie der Standesbeamte, der sie 1964 in Paris traute, sie aufforderte, "etwas Herausragendes" aus der Ehe zu machen, "wenn schon eine Deutsche und ein französischer Jude heiraten".

Die Klarsfelds haben sich daran gehalten. Seit mehr als einem halben Jahrhundert kämpfen sie dafür, dass NS-Verbrecher bestraft werden und die Erinnerung an die Opfer des Holocaust nicht verblasst. 2015 wurde das Ehepaar mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet, an diesem Mittwoch wird den beiden der deutsch-französische Medienpreis verliehen. Die Klarsfelds seien ein "Symbol der Aussöhnung zwischen den Völkern", stellt die Jury fest. Doch so wie das Paar heute auftritt, wirken sie nicht wie Versöhnte, eher wie zwei, die staunen, wie satt und zufrieden die Welt geworden ist. Sie beobachten, wie die Europäer von rechten "Demagogen", wie Serge Klarsfeld sagt, verführt werden "Die heutige Jugend ist vielleicht zu optimistisch, was ihre politische Situation betrifft", sagt Beate Klarsfeld.

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SZ vom 03.07.2019
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