Profil:Arthur Abele

Europameister im Zehnkampf, nach langer Leidenszeit am Ziel und künftig der Gejagte.

Von Joachim Mölter

Profilbild 10.8.2018
(Foto: Reuters)

Die größte Herausforderung des Zehnkampfs, so sagen Spötter, beruhe darin, die zehn Gelegenheiten verstreichen zu lassen, die sich bieten, alles zu vermasseln. Man muss nicht zwingend der Stärkste, Schnellste oder Beste sein in dieser Vielseitigkeitsprüfung, mitunter reicht es, keinen Fehler zu machen und durchzuhalten. Beim Zehnkampf der Leichtathletik-Europameisterschaften in Berlin vermasselten nacheinander Weltmeister Kevin Mayer aus Frankreich, der Titelverteidiger Thomas van der Plaetsen aus Belgien sowie der bis dato beste Europäer dieses Sommers, der Este Maicel Uibo, eine der zehn Übungen - "diese Chance habe ich genutzt", sagte der am Ende triumphierende Ulmer Arthur Abele, mit 32 Jahren der Älteste im Teilnehmerfeld.

Der auf den ersten Blick eher unscheinbare Athlet, 1,84 Meter groß und 80 Kilo schwer, stellte nirgendwo eine persönliche Bestmarke auf, er machte aber eben auch nirgendwo einen schweren Fehler, als er seine 8431 Punkte sammelte. Vor allem hielt Abele am längsten durch von allen, länger als nur die zwei Tage, über die sich dieser Mehrkampf üblicherweise erstreckt. "Vor zehn Jahren wäre es auch schon an der Zeit gewesen", fand er.

Abeles sportlicher Lebenslauf ist ein Leidensweg, alle Verletzungen aufzuzählen, die er im Lauf der Jahre erlitten hat, "macht keinen Sinn", sagte er, "es sind einfach zu viele". Achillessehnenriss, Unterschenkelbruch, Sehnenriss im Ellbogen, Bandscheibenvorfall sind nur einige davon. Nach seinem WM-Debüt 2007 in Osaka als Neunter hatte Abele eine Phase von fünf Jahren, in denen er keinen Zehnkampf zu Ende brachte. Erst im vergangenen Winter zwang ihn eine Gesichtslähmung zu einer weiteren Pause, ausgelöst durch einen Infekt, den sein zweijähriger Sohn aus der Kita mit nach Hause gebracht hatte. Im März konnte er wieder ins Training einsteigen, "wenn man so lange trainiert hat, weiß der Körper recht schnell wieder, was er machen muss", sagt der Sportsoldat, der als Elfjähriger mit der Leichtathletik angefangen hat. Nachdem er die zweitägige Hitzetortur von Berlin am Mittwochabend überstanden hatte, sagte er: "Das ist die Botschaft - nie aufzugeben, wenn man einen Traum hat. Man muss halt weitermachen, irgendwann klappt's dann."

Mit seinem ersten internationalen Titelgewinn reiht sich Arthur Abele ein unter die großen deutschen Zehnkämpfer: zwischen Hans-Heinrich Sievert, 1934 der erste Europameister im Zehnkampf, zwischen die Olympiasieger Willi Holdorf (1964) und Christian Schenk (1988) sowie den Weltmeister Torsten Voss (1987); der bis dato letzte der fünf deutschen EM-Gewinner war 2012 Pascal Behrenbruch. Der Zehnkampf hat hierzulande eine große Tradition und auch ein großes Reservoir. In Berlin fehlten die beiden WM-Medaillengewinner Rico Freimuth und Kai Kazmirek, und dennoch hätte es beinahe erneut für zwei Medaillen gereicht. Das 20 Jahre alte Talent Niklas Kaul aus Mainz verpasste Bronze nur um 70 Punkte, erreichte mit 8220 Zählern dafür eine persönliche Bestleistung. In diesem Sommer haben bereits neun deutsche Zehnkämpfer die 8000-Punkte-Marke übertroffen, die als Schwelle zur Weltspitze gilt. "Die Jungen drücken nach, ich bin jetzt der Gejagte", sagte Abele, "aber ich nehme die Herausforderung an."

Bis zu den Olympischen Spielen 2020 in Tokio will er noch durchhalten, der "Schmerzensmann der deutschen Leichtathletik" (Sport-Informations-Dienst) hat auch bei Olympia schon viel gelitten: 2008 in Peking gab er auf, und als er 2016 mit 8605 Punkten als Nummer zwei der Weltjahresbestenliste zu den Spielen nach Rio kam, unterschätzte er die Hitze. "Da hat's mich am zweiten Tag komplett zerlegt, mit Multifunktionskrämpfen und allem Möglichen", erinnert er sich. Für die EM in Berlin hatte er daraus gelernt: Es gibt sogar noch mehr als zehn Gelegenheiten, einen Zehnkampf zu vermasseln.

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