Profil:Anja Siegesmund

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(Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)

Thüringens grüne Spitzenkandidatin.

Von Ulrike Nimz

Im April des vergangenen Jahres begrüßte Anja Siegesmund 15 000 neue Mitarbeiter im Hof des Umweltministeriums in Erfurt. Die zwei Bienenvölker haben seither an die 200 Gläser Honig produziert, verrichten ihre Arbeit emsig und ohne größere Zwischenfälle. Ähnliches lässt sich über die Spitzenkandidatin der Thüringer Grünen berichten.

Seit 2014 ist Anja Siegesmund Ministerin für Umwelt, Energie und Naturschutz im Kabinett Bodo Ramelows. Sie ist die erste Frau auf diesem Posten und gilt als Politikerin, die lieber Entscheidungen fällt als Bäume. Sei es die Altlastensanierung rund um das ehemalige Teerverarbeitungswerk in Rositz, das Gesetz zur Verbesserung der Wasserqualität im Freistaat oder die Verpflichtung zur CO₂-Reduktion: Viele der umweltpolitischen Ziele, die das rot-rot-grüne Regierungsbündnis im Koalitionsvertrag festgeschrieben hat, sind angepackt oder umgesetzt. In fünf Prozent des von Dürre und Borkenkäfer geplagten Thüringer Waldes ruht auf Siegesmunds Initiative hin die Säge. Erst kürzlich hat sie in einem Forst bei Osthausen neue Bäumchen gepflanzt. Schließlich wird am kommenden Sonntag in Thüringen der Landtag gewählt. Wenig macht sich so gut auf Fotos wie eine Ministerin, die sich höchstpersönlich am Wurzelwerk verblichener Fichten abrackert.

Dass der Wald für Anja Siegesmund mehr ist als eine Aufgabe, mag damit zu tun haben, dass sie betonnah aufgewachsen ist, im Plattenbaugebiet Gera-Lusan. Die Mutter Feinmechanikerin, der Vater Schlosser und Militärdienstverweigerer, nahmen sie die Tochter mit auf die Wartburg und ließen den Blick gen Westen schweifen. Siegesmund war zwölf, als die Mauer fiel. Sie kann sich noch gut erinnern, wie der Fluss am VEB Modedruck in allen Farben schillerte, an die Bomberjacken auf dem Schulhof. Die einst stolze Textilstadt Gera hat es nach der Wende hart getroffen. "Aus meinem Abi-Jahrgang sind zwei Leute geblieben, natürlich tut das weh", sagt Siegesmund. Ohne die friedliche Revolution wäre auch ihr Werdegang unmöglich gewesen: Stipendiatin an der Louisiana State University in Baton Rouge, Politikstudium in Jena, wo sie heute mit Ehemann und drei Töchtern lebt.

"Die Zukunft sitzt jeden Morgen mit mir am Küchentisch", sagt Anja Siegesmund gern, wenn sie nach ihrer politischen Motivation gefragt wird. Weggefährten beschreiben sie als ehrgeizig und durchaus machtbewusst. 2002 trat Siegesmund den Grünen bei, war fünf Jahre lang Referentin im Erfurter Wahlkreisbüro von Katrin Göring-Eckardt. 2009 zog sie mit den Grünen in den Thüringer Landtag ein. Wie ihre Mentorin wird sie dem pragmatischen Teil der Partei zugerechnet. Mike Mohring, Chef der Thüringer CDU, hat nur warme Worte für die Ministerin übrig; beide eint ihr Glaube. Wäre das für sie vorstellbar - regieren an der Seite der Christdemokraten? "Es gibt nur einen Plan A, und der heißt Rot-Rot-Grün", sagt Siegesmund.

Lieber als über die sehr wahrscheinlich sehr schwierige Regierungsbildung in Thüringen spricht sie über die Wahlkampfschwerpunkte ihrer Partei - Klimaschutz, Zusammenhalt, Mobilität - und von ihrer Sommertour entlang des Grünen Bandes. Der Todesstreifen sei heute eine Lebenslinie, sagt Siegesmund. Viele Stunden ist sie an der einstigen innerdeutschen Grenze gewandert, hat Anwohnern und Journalisten vom Liebreiz der Rhönquellschnecke berichtet, zwei Millimeter groß und stark gefährdet. Und sie hat sich sehr dafür eingesetzt, den Thüringer Teil des Grünen Bandes zum Nationalen Naturmonument zu ernennen. Als es Ende 2018 so weit war, verschickte ihr Ministerium einen Kalender mit malerischen Aufnahmen des geschützten Landstrichs, so groß, dass es wohl einen Schwerlastdübel bräuchte, um ihn aufzuhängen. Anja Siegesmund ist überzeugt: Zur Erinnerung an die überwundene deutsche Teilung taugt die Natur viel besser als die geplante Einheitswippe in Berlin.

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