Profil:Andreas Michaelis

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Neuer Botschafter in London, grün und anglophil.

Von Kurt Kister

(Foto: Picture Alliance/dpa)

Mit Traumjobs ist das so eine Sache. Man liebäugelt vielleicht lange mit einer Aufgabe, und wenn man sie dann bekommt, stellt man fest, dass es zwischen Traum und Wirklichkeit erhebliche Unterschiede geben kann. Andreas Michaelis zum Beispiel ist ein anglophiler Mensch. Das hat auch mit seiner Herkunft zu tun, denn er stammt aus Hannover, dem Zentrum eines einstigen Kurfürstentums und nachmaligen Königreichs, dessen Herrscher von 1714 bis 1837 in Personalunion auch Könige von England waren. Und Hannoveraner machten einen erheblichen Teil der King's German Legion aus, die als Teil der englischen Armee gegen Napoleon focht; in ihren Reihen standen 1815, zu Zeiten der Schlacht von Waterloo, auch zwei Offiziere namens Michaelis.

So nimmt es nicht Wunder, dass Michaelis, Jahrgang 1959, in Oxford seinen Master of Letters gemacht hat. Und nun wird er, zum Schluss einer beachtlichen Karriere im Auswärtigen Amt (AA), Botschafter in London. Das Dumme dabei ist nur, dass Michaelis Berlins erster Botschafter im postbrexitalen Großbritannien sein wird. Etwas simpel gesagt: Der anglophile Welfe Michaelis kommt, und die Briten verlassen Europa - na ja, zumindest die EU.

Michaelis trat 1989, im Jahr des großen Umbruchs, in den diplomatischen Dienst ein. Seine erste längere Auslandsverwendung war an der deutschen Botschaft in Tel Aviv, was ihn durchaus prägte, denn die Beziehungen, auch die offiziellen, zwischen Israel und Deutschland sind einzigartig, manchmal schwierig und selten Routine. In Israel lernte Michaelis auch den damaligen Fraktionschef der Grünen, Joschka Fischer, kennen, der auf einer Informationsreise war.

Als Fischer 1998 Außenminister wurde, berief er Michaelis zu seinem Sprecher. Das hatte auch damit zu tun, dass Michaelis keinen Hehl aus seinen Sympathien für die Grünen machte. Vor mehr als zwanzig Jahren war dies für einen Diplomaten eher ungewöhnlich, auch weil die ewig lange Amtszeit des Ministers Genscher im AA einen deutlich höheren FDP-Nahesteher-Anteil zur Folge hatte als etwa in der Gesamtbevölkerung. Grundsätzlich ist es interessant, für Fischer zu arbeiten, eine Freude ist es nur selten. Michaelis verstand sich dennoch gut mit ihm. Im Jahre 2002 wechselte Michaelis als Botschafter nach Singapur, bevor er 2006 wieder in die Zentrale zurückkehrte. Einige Jahre war er der Beauftragte für Nah- und Mittelostpolitik. 2011 ging er dorthin zurück, wo er begonnen hatte: Er wurde Botschafter der Bundesrepublik in Israel. Auf diesen Posten wird niemand entsandt, der nicht das volle Vertrauen der entscheidenden Diplomaten und Politiker im Außenministerium und im Kanzleramt hat.

Dass Michaelis nach 2015 dann in die beiden bedeutendsten Ämter aufstieg, die ein Diplomat erreichen kann, klingt folgerichtig. Zunächst war er bis 2018 der Politische Direktor des Außenministeriums, was man mit großem "P" schreibt, weil es einerseits ein Titel ist und andererseits eine Position, die erheblich zur Formung der deutschen Außenpolitik beiträgt, zumal dann, wenn gerade ein Minister amtiert, der selbst nicht so gerne formt. Schließlich stieg Michaelis auch noch zum Staatssekretär im AA auf. Die beiden beamteten Staatssekretäre stehen an der Spitze der Diplomatenhierarchie; über ihnen kommt nur noch die politische Leitung, von der manche zu manchen Zeiten sagen, es sei egal, wer unter dem Politischen Direktor und den beamteten Staatssekretären gerade Außenminister ist.

Michaelis gehört übrigens auch zu jener kleinen Gruppe von Diplomaten, die es als ehemalige Presseleute von Fischer weit gebracht haben. Walter Lindner, heute Botschafter in Indien und Michaelis' Nachfolger als Fischers Sprecher, war ebenfalls Staatssekretär; Antje Leendertse aus Fischers Pressestab war Politische Direktorin und ist heute beamtete Staatssekretärin. Und auch der amtierende Politische Direktor Jens Plötner sprach mal für Fischer.

© SZ vom 30.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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