Die Sozialdemokratin Andrea Nahles hat, so absurd das klingt, eine Gemeinsamkeit mit dem früheren hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch. Der hatte sich zu seiner aktiven Zeit einen derart miesen Ruf als rücksichtsloser Unsympath erworben, dass die Erwähnung seines Namens genügte, um heftige Abwehrreaktionen hervorzurufen.
Wer den Christdemokraten aber näher kennenlernte, berichtete häufig erstaunt, dass es sich ja um einen ganz angenehmen Zeitgenossen handele. So ähnlich ist es auch mit Nahles: Ihr Image ist schlecht. Doch je näher die Leute ihr kommen, desto positiver wird das Bild.
Die 47-Jährige polarisiert, und zwar nicht nur in der Bevölkerung, sondern ebenso in ihrer Partei, in der sie begeisterte Anhänger wie erbitterte Gegner hat. Das liegt auch an dem Weg, den sie in der SPD nahm. Begonnen hat sie ganz links, wurde Chefin der Jusos und Wortführerin der Parteilinken.
Nach der Wahlniederlage:Die Angriffslust des Unterlegenen
Die Bundestagswahl ist die vierte Wahlniederlage, die SPD-Chef Schulz durchleiden muss. Dass er sich derart unbeirrt gibt, liegt am Rückhalt in seiner Partei. Dort gibt es mächtige Akteure, die kein Interesse an Veränderung haben.
Über die Jahre aber rückte sie in die Mitte - spätestens als sie Ende 2009 Generalsekretärin wurde, blieb ihr gar nichts anderes übrig. Nun hatte sie die Interessen der gesamten Partei zu vertreten und nicht nur eines Flügels. Das aber führte dazu, dass viele Linke sie mittlerweile nicht mehr als eine der Ihren betrachten, während manche Parteirechte in ihr nach wie vor die Flügelkämpferin von einst sehen.
Als am Wahlabend bekannt wurde, dass sie den Vorsitz der SPD-Bundestagsfraktion übernehmen könnte, waren dementsprechend nicht alle Genossen begeistert. Und noch sei Nahles nicht gewählt, raunten ihre Gegner am Montag - wobei ein Scheitern nun ein Affront gegen Parteichef Martin Schulz wäre, der sie am Tag nach der Wahl offiziell als Fraktionschefin vorschlug.
Nahles soll damit einen der beiden Spitzenposten übernehmen, den die SPD in der Opposition noch zu vergeben hat - und zwar den wichtigeren. Als Fraktionschefin wäre sie, falls es zum Jamaika-Bündnis kommt, Oppositionsführerin. Es wäre ein erstes Signal des Umbruchs in der SPD.
Nahles hat hart gearbeitet
Dabei hatte Schulz offenbar nicht immer vor, ihr den Weg frei zu machen. In der Partei wird jedenfalls glaubhaft versichert, dass er zwischenzeitlich erwogen hat, den Posten für sich zu reklamieren - und davon erst abgebracht werden musste. Schulz selbst bestritt das am Montag: "Ich habe nämlich nie darüber nachgedacht, Vorsitzender der SPD-Bundestagsfraktion zu werden." Was stimmt denn nun?
Als am Wahlabend die engste Parteiführung zusammen saß und über Konsequenzen beriet, war Nahles, die derzeit kein Parteiamt hat, übrigens nicht dabei. Doch hatte sich abgezeichnet, dass ihre Stunde kommen würde. Sie hat hart dafür gearbeitet.
Als Generalsekretärin litt sie unter den Kapriolen des Parteichefs Sigmar Gabriel, hielt aber vier Jahre durch. Als Arbeitsministerin in der großen Koalition setzte sie Prestigeprojekte wie den Mindestlohn durch und erwarb sich auch in der Union breiten Respekt. Als Oppositionsführerin könnte sie dieser Union bald das Leben schwermachen.