Süddeutsche Zeitung

Profil:Andrea Lissoni

Neuer Direktor am Haus der Kunst in München.

Von Catrin Lorch

Die Berufung ist eine Überraschung: Der Kunsthistoriker und Kurator Andrea Lissoni wird künstlerischer Geschäftsführer des Hauses der Kunst in München. Der bayerische Kulturminister Bernd Sibler selbst stellte den 49-Jährigen am Dienstag auf einer Pressekonferenz vor. Der in Mailand geborene Südtiroler arbeitet seit fünf Jahren als sogenannter Senior Curator an der Londoner Tate Modern Gallery und ist dort für Film und Internationale Gegenwartskunst zuständig. Vorher leitete er das Ausstellungshaus Hangar Bicocca in Mailand und war Mitbegründer des Kultur-Netzwerks Xing.

Nina Zimmer, Vorsitzende der Berufungskommission und Direktorin des Kunstmuseums Bern, charakterisierte den schlaksigen Italiener auf der Pressekonferenz als einen "Mann der leisen Töne", einen Teamarbeiter, der seine Programme in Zusammenarbeit mit seinen Mitarbeitern entwickelt. Britische Kollegen nennen ihn einen "zugänglichen Vorgesetzten", der seine Kollegen motivieren und mitnehmen kann. In der Vergangenheit arbeitete er nicht nur mit Stars wie Tomás Saraceno, Bruce Nauman, Apichatpong Weerasethakul und Philippe Parreno zusammen.

Andrea Lissoni sagte am Dienstag, er fühle sich der Stadt München schon seit langer Zeit verbunden, seine Doktorarbeit schrieb er über eine Kooperation zwischen Alexander Kluge und Edgar Reitz in den Sechzigerjahren. Am Haus der Kunst habe er in den vergangenen Jahren nicht nur hervorragende Ausstellungen erlebt, sondern er schätze die Institution auch als Partnerin, mit der er schon gemeinsame Projekte realisiert habe. Dass Ausstellungen wie die Schau des in Ghana geborenen Künstlers El Anatsui in diesem Sommer in München mehr als 200 000 Besucher anziehen, beeindrucke ihn sehr.

In Bezug auf künftige Planungen blieb Andrea Lissoni, der fließend Deutsch spricht, verhalten; er sei ein Zuhörer, der sich zunächst "einstimmen" werde. Er wolle dem Haus der Kunst eine "Tiefenmelodie" verleihen, die sein Programm tragen soll. Der dritte Begriff, mit dem er seine "Vision" beschrieb, war "Transmission" - denn Ziel sei es, dass von seinem Haus und seinen Ausstellungen "Ströme ausgehen", die schließlich in die ganze Welt treiben. Kunstinstitutionen des 21. Jahrhunderts stünden vor der Aufgabe, sich einerseits der Digitalisierung zu stellen, andererseits aber auch gesellschaftliche Zugehörigkeit zu vermitteln.

Andrea Lissonis Amtszeit beginnt erst am 1. April des kommenden Jahres. Er habe sich allerdings schon das von den Kuratoren erarbeitete Programm vorlegen lassen, das ihm ausnehmend gut gefalle. Es stimmt zuversichtlich, dass Andrea Lissoni sein Lebensmotto mit "Probleme sind immer auch Möglichkeiten" angab: Der Nachfolger von Okwui Enwezor, der als Ausstellungsmacher und Documenta-Leiter die Kunstgeschichte der jüngeren Vergangenheit maßgeblich prägte, steht vor gewaltigen Aufgaben, bevor er überhaupt als Ausstellungsmacher am künstlerischen Profil arbeiten kann. Das Haus der Kunst machte nach dem Abgang und dem Tod von Enwezor vor allem mit negativen Schlagzeilen von sich reden: Die geplante Renovierung durch den Architekten David Chipperfield verzögert sich, dessen Pläne um die Freilegung der Fassade - der auch eine Baumreihe zum Opfer fallen würde - wurden in München heftig kritisiert. Und neben finanziellen Problemen und viel kritisierten Umbauplänen gab es auch einen Skandal um Mitarbeiter, die der Scientology-Sekte angehörten.

Dass Geschäftsführer Bernhard Spies bedeutende Ausstellungskooperationen mit dem New Yorker Museum of Modern Art und der Londoner Tate Gallery zu Künstlerinnen wie Joan Jonas und Adrian Piper zugunsten von Werkschauen deutscher Malerfürsten absagte, beschert der aktuellen Berufung eine echte Pointe. Kurator der abgesagten Joan-Jonas-Ausstellung war Andrea Lissoni.

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Quelle:
SZ vom 23.10.2019
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