Süddeutsche Zeitung

Türkei:Das ist Erdoğans neuer Mann in Berlin

Ali Kemal Aydın wird Botschafter in Deutschland. Passenderweise handelt es sich um einen Mann mit Krisenerfahrung.

Von Mike Szymanski

Im wechselhaften deutsch-türkischen Verhältnis stehen die Signale gerade wieder auf Entspannung. Eine auf großer öffentlicher Bühne vorgetragene Belehrung darüber, dass die Völkermord-Resolution des Bundestages zu den Verbrechen an den Armeniern im Osmanischen Reich juristisch nicht bindend sei, beendet Wochen des Angiftens und Anrempelns. Wenn man so will, ist das eigentlich ein guter Zeitpunkt für Ali Kemal Aydın, seine Koffer zu packen. Wenn man nicht auf Ärger steht.

Aydın soll Erdoğans neuer Mann in Berlin werden und die Nachfolge von Hüseyin Avni Karslıoğlu als Botschafter antreten. Zu dessen letzten Worten vor dem Abflug in die Türkei gehörte dieser Satz: "Ich habe nichts mehr zu sagen, der Bundestag hat schon gesprochen." Es war der 2. Juni, die Parlamentarier nannten in ihrer Resolution die Gräueltaten an den Armeniern 1915/1916 "Völkermord". Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hatte zuvor schon angekündigt, dass dies nicht ohne Folgen bleiben werde. Kurz nach der Abstimmung saß Karslioğlu im Flugzeug in die Heimat.

Damals war schon klar, dass der Botschafter in dieser Funktion nicht zurückkehren würde. Seine Zeit war abgelaufen. Zwei Wochen später wurde Aydın, 1965 geboren, zum Nachfolger benannt. Er gehört zu einer neuen, eher krisengeprüften Diplomaten-Generation an, die besonders in Brüssel, Berlin und bei den Vereinten Nationen in New York die Politik Ankaras vertreten und erklären soll.

Dass Aydın seinen Job noch nicht angetreten hat, dürfte der Sturköpfigkeit Erdoğans geschuldet sein. Der wollte im Streit um die Armenien-Resolution unbedingt noch einmal die Bundesregierung tätig werden sehen. Im politischen Miteinander zwischen Ankara und Berlin schenkt man sich schon lange nichts mehr. Für Karslioğlu war der Abschied aus Berlin bitter. Er hat in seiner Zeit miterleben müssen, wie sich beide Länder immer fremder geworden sind. Nach seiner Rückkehr wurde ihm in der Putschnacht in Ankara sogar ins Bein geschossen.

Wenn es für Nachfolger Aydın gut läuft, kann er Aufbauhelfer für ein neues Miteinander werden. "Die Beziehungen zu Deutschland sind einem Erzincaner anvertraut worden", jubelte die Lokalzeitung in Aydıns Heimatprovinz Erzincan. Immerhin gilt der Posten in Berlin trotz allen Streits noch als Auszeichnung. Aydın hat Internationale Beziehungen an der Ankara-Universität studiert. Von dort aus ging es direkt ins Auswärtige Amt. Er erlebte, wie Syrien in den Bürgerkrieg abglitt - bis 2009 war er Generalkonsul in Aleppo. Danach arbeitete er als Botschafter in Libyen. Aydın half noch, Türken und Hunderte andere Ausländer aus dem Land zu bringen, als auch dort 2011 die Kämpfe eskalierten. Seit Sommer 2014 ist die türkischen Botschaft in Tripolis geschlossen.

Aydın stieg im Außenministerium in Ankara zum stellvertretenden Staatssekretär auf. Jetzt heißt es wieder: Außendienst. Berlin.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3148776
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.09.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.