Süddeutsche Zeitung

Profil:Aleksandar Vučić

Großer starker Mann auf dem Balkan, seit Sonntag noch mächtiger.

Von Tobias Zick

Seit Sonntag darf sich Serbiens Präsident Aleksandar Vučić in seinem Selbstbild als starker Mann auf dem Balkan bestätigt sehen. Bei der Parlamentswahl hat seine rechtsnationale "Fortschrittspartei" SNS ihre Mehrheit im Parlament auf 189 von 250 Sitzen ausgeweitet, sie kann also künftig mit Dreiviertelmehrheit durchregieren, eine nennenswerte Opposition gibt es nicht mehr. "Einen Moment wie diesen habe ich noch nie erlebt", jubelte der Zweimetermann.

Wobei die zur Schau gestellte Überraschung über den Sieg wohl etwas größer war als die tatsächliche: Wesentliche Teile der Opposition hatten zum Wahlboykott aufgerufen mit der Begründung, die Voraussetzungen für faire und freie Wahlen seien nicht gegeben, zumal Vučić - ähnlich seinem Bruder im Geiste, Ungarns Premier Viktor Orbán - die meisten wichtigen Medien im Land kontrolliere und während des überaus strengen Corona-Lockdowns kein ausgewogener Wahlkampf möglich gewesen sei. Kritiker berichteten zudem von Manipulationen in einigen Wahllokalen am Sonntag.

Nicht nur für Vučić selbst ist das Wahlergebnis in dieser Höhe etwas bislang Ungekanntes, sondern für das ganze Land. Nicht einmal der nationalistische Kriegstreiber und mutmaßliche Kriegsverbrecher Slobodan Milošević, unter dessen Präsidentschaft Vučić seinerzeit als Informationsminister diente, konnte sich auf eine derart ausufernde Mehrheit stützen.

Im Jahr 2014, als Vučić Premierminister Serbiens wurde, distanzierte er sich von seiner eigenen Kriegshetze in den Milošević-Jahren und den damaligen Schikanen gegen Journalisten. Er sprach von "Fehlern", und er wandte seinen Blick nach Brüssel. Vučić arbeitete auf einen EU-Beitritt seines Landes hin, manche Beobachter attestierten ihm gar, er habe sich zum "glühenden" Europäer gewandelt.

Spätestens seit im vergangenen Jahr die EU auf Betreiben Frankreichs die Beitrittsgespräche mit den Ländern des westlichen Balkans eingefroren hat, steigert Vučić sich zunehmend in eine Trotzhaltung; er lässt kaum eine Gelegenheit aus, den Europäern zu vermitteln, dass er deren Partnerschaft gar nicht nötig habe. Dabei genießt das Oberhaupt des Sieben-Millionen-Einwohner-Staats sichtlich das Interesse, das andere globale Mächte seinem Land entgegenbringen. Als inmitten der Corona-Krise ein Flugzeug mit Ärzten und Atemschutzmasken aus China in Belgrad gelandet war, küsste Vučić die chinesische Flagge und bejubelte die "stählerne Freundschaft" zur Volksrepublik. Im Wahlkampf sicherte er dem russischen Außenminister bei dessen Besuch in Belgrad zu, Moskau habe das letzte Wort bei allen Fragen, die den Status Kosovos betreffen. Zugleich lässt er sich von Richard Grenell bezirzen, dem Sondergesandten von US-Präsident Trump, der einen Deal auf dem Balkan als Trumpf im eigenen Wahlkampf anstrebt: eine dauerhafte Beilegung des Streits zwischen Serbien und Kosovo - einschließlich eines möglichen Tauschs von Gebieten nach ethnischen Kriterien, wie ihn die Europäer ablehnen. Er hat Vučić zusammen mit dessen kosovarischem Kollegen für Ende dieser Woche ins Weiße Haus eingeladen.

Im Wahlkampf war alles auf eine zentrale Botschaft zugelaufen, die in den schlichten Slogan mündete: "Aleksandar Vučić. Für unsere Kinder". (Daneben hatte nicht mal mehr der Name der Partei Platz; Vučić war sich selbst Marke genug.) Den Kindern des Landes Perspektiven bieten, das ist in der Tat eine dringende Aufgabe - bislang wandern die, sobald sie flügge sind, scharenweise ins Ausland ab, um als Krankenpflegerinnen in Heidelberg oder als Busfahrer in London zu arbeiten. Jene, die noch im Land sind, haben zuletzt immer wieder gegen Vetternwirtschaft und Korruption demonstriert.

Nun kann Aleksandar Vučić in aller Ruhe zeigen, wie ernst es ihm mit seiner neuen Politik für die Jugend ist. Nennenswerte politische Widerstände hat er keine mehr zu befürchten.

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SZ vom 23.06.2020
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