Produktpiraterie in China:Herr Feng und die falschen Schuhe

Die Raubkopierer in der Volksrepublik werden immer dreister - und immer mehr internationale Markenfirmen wehren sich mit Detektiven und Razzien.

Henrik Bork

Das Telefon schellt. Michael Feng hebt ab, sagt seinen Namen, legt nach einer Sekunde wieder auf. Eine gute Nachricht, der Chinese strahlt übers ganze Gesicht. "Die Razzia wird um vier Uhr stattfinden", sagt er. Der Anruf kam von einem der Detektive, die er bezahlt. Das ist sein Job. Denn Michael Feng, 27 Jahre, macht Jagd auf chinesische "Piraten".

Produktpiraterie in den Straßen Chinas, AP

Produktpiraterie in den Straßen Chinas.

(Foto: Foto: AP)

Auf Produktpiraten, Fälscher von Markenartikeln. Für wen er arbeitet, ist nicht zu übersehen. Er trägt ein schwarzes Puma-T-Shirt, eine labbrige Puma-Turnhose und Turnschuhe von Puma. Er mag aussehen wie ein Skateboarder, aber er hat einen gefährlichen und aufregenden Job. Von seinem Büro in der südchinesischen Metropole Guangzhou aus hat er in den letzten drei Jahren fünfzig solcher Razzien koordiniert.

Puma hat, wie viele Hersteller von Markenartikeln, in China ein Problem, ein Riesenproblem. Einerseits kann man hier herrlich billig produzieren lassen. Die Pumafabrik bei Herzogenaurach hatte Pumas neuer, stets als "energisch" beschriebener Chef Jochen Zeitz kurz nach seinem Arbeitsbeginn im Jahr 1993 schließen lassen.

Die Produktion wurde ins Ausland verlagert, unter anderem nach Vietnam, Taiwan und China. Der Grund ist klar. Nur 2,76 US-Dollar kostete jeder der 6913620000 im letzten Jahr aus China exportierten Schuhe im Schnitt. In Deutschland im Laden kostet dann, beispielsweise, ein Puma-Turnschuh 110 Euro.

Unruhe in der Garküche

Doch die Chinesen sind nicht bloß billige und fleißige Arbeiter. Sie sind auch Weltmeister im Raubkopieren - und dabei machen sie vor Raubkatzen keinesfalls Halt. "Schauen Sie sich diese Katze an", sagt Michael Feng.

Er hält einen schwarzen Turnschuh hoch, Modell "Puma Cell", auf dem etwas prangt, das dem weißen Logo der Herzogenauracher gefährlich ähnlich sieht. "Die Katze ist hässlich! Das Material ist schlecht! Das Design ist schlecht!", sagt Feng.

Eine ganze Sammlung solcher Fälschungen steht in seinem Regal. Mal hechtet der Puma darauf nach rechts, statt - wie der echte - nach links. Mal klebt ein Etikett da, wo es aufgenäht sein müsste. Doch viele der Kopien sind auch erstaunlich gut. Nur Experten können sie vom Original unterscheiden.

China sei die "mit Abstand größte Quelle gefälschter Markenartikel weltweit", heißt es im jüngsten Jahresbericht der Internationalen Anti-Fälschungs-Koalition (IACC) an den US-Handelsbeauftragten. Von Nike-Schuhen über Ray-Ban-Sonnenbrillen, Gucci-Handtaschen und Chanel-Kostümen bis zu kompletten Ferrari-Sportwagen - alles was gut und teuer ist, wird in Chinas Fälscherwerkstätten kopiert.

Der Gesamtverlust für die Weltwirtschaft ist schwer zu kalkulieren, denn nicht jeder, der einen gefälschten Adidas-Schuh kauft, hätte auch das Geld für einen echten. Viele Milliarden Euro aber sind es allemal.

Das geht inzwischen so weit, dass sich eine Firma fast Sorgen machen muss, wenn ihre Ware nicht gefälscht wird. "Es ist eine Anerkennung für die Marke, wenn sie imitiert wird. Das heißt, dass sie gefragt ist. Es gibt auch Marken wie Fila, die in China niemand kopiert", sagt der Vertreter eines amerikanischen Markenproduzenten in China.

Die meisten Produzenten berühmter Marken haben "Anti-Fälschungs-Beauftragte" wie Micheal Feng in China stationiert, oder sie haben Anwaltskanzleien in Guangzhou, Peking und Schanghai mit der Jagd auf die Piraten beauftragt.

Vier Uhr: Die Razzia beginnt. Eine Kolonne von Autos verlässt das Stadtzentrum von Guangzhou und fährt über die Stadtautobahn in den Vorort Huadu. Der Ort war schon einmal als Hort der Gesetzlosigkeit berühmt geworden. Von hier stammte der christliche Aufrührer Hong Xiuquan, der 1851 mit seinen Taiping-Rebellen halb China eroberte.

Heute ist Huadu ein Nest der Produktpiraten. Feng hat vorsichtshalber seine Puma-Verkleidung abgelegt und Unverfänglicheres angezogen. "Die Leute hier sind gefährlich", sagt er, "vor kurzem haben sie bei einer anderen Razzia eine Mitarbeiterin von mir geschlagen."

Die Wagenkolonne kommt vor einem unscheinbaren, dreistöckigen Backsteinhaus zum Stehen. Zwei Detektive, von denen einer eigens aus Peking angereist ist, und drei Beamte der chinesischen Gewerbeaufsicht ("Gongshangju") stürmen das Haus. Michael Feng bleibt sicherheitshalber im Wagen sitzen.

Es genügt, dass Puma die Aktion finanziert hat. Rund 1600 Euro zahlt die Firma für vergleichbare Razzien an Detektivbüros. Die Detektei wiederum schmiert die chinesischen Beamten, damit die sich überhaupt mal in Bewegung setzen. Wie viel da üblich ist, wollen die Ermittler nicht verraten.

"Der Preis hängt von der Schwere des Falles ab. Vor kurzem haben wir ein Fälscherlager in einer Kaserne der Volksbefreiungsarmee ausgehoben. Da brauchten wir unsere besten Polizeikontakte, um überhaupt hineinzukommen. Das war sehr teuer", sagt einer der privaten Ermittler.

Heute erwischt es eher einen der kleinen Fische - und es geht dabei recht friedlich zu. Durch eine Garküche, in der ein schmutziges Hackmesser auf der Anrichte liegt, vorbei an einem elektrischen Reiskocher, in dem schon das Abendessen für die Belegschaft dampft, stürmt die Gruppe in den ersten Stock. Ein paar dutzend in weiße Plastiksäcke vernähte, gefälschte Puma-Rucksäcke werden sichergestellt.

Im zweiten Stock des Mehrfamilienhauses sitzen 27 Näherinnen unter von der Decke baumelnden Neonröhren vor ihren Nähmaschinen. Als sie die blauen Uniformen der Beamten von der Gewerbeaufsicht sehen, stehen sie widerstandslos auf und verfolgen stumm das weitere Schauspiel. Alle Rucksäcke mit falschen Puma-Logos werden eingesammelt.

Die mit Nike-Etiketten aber bleiben liegen, denn Nike hat diesmal keine Anzeige erstattet und, noch wichtiger, nicht bezahlt. Der Besitzer des Familienbetriebes protestiert kurz, aber nicht sehr heftig. Einer der Beamten schreibt seinen Namen mit Filzstift auf elf der Nähmaschinen, dann werden sie konfisziert und abtransportiert.

Als sie ihre Arbeitsgeräte verschwinden sehen, beginnen die Näherinnen besorgt miteinander zu flüstern. "Was sollen wir jetzt machen?", fragt eine junge Frau. Es sind junge Bauernmädchen, die stolz auf die rund 40 Cent pro Stunde sind, die sie hier verdienen. Sie schlafen zu sechst in Etagenbetten, in engen Räumen direkt neben dem Arbeitsraum. Von dem Geld, das sie sparen und nach Hause schicken, leben in ihren Heimatdörfern ganze Familien.

Versprechen der Genossen

Aber es muss sich niemand Sorgen machen, dass die jungen Frauen nun arbeitslos werden könnten. An der Aktion war kein einziger Polizist beteiligt. Es ist äußerst unwahrscheinlich, dass es zu einer Anzeige oder gar zu einer Festnahme kommt.

"Heute haben wir 200 gefälschte Rucksäcke sichergestellt, einer im Wert von 150 Yuan - das ist etwa die Hälfte dessen, was wir für eine Anzeige bräuchten", wird Michael Feng später sagen. Fälscherware im Wert von 50000 Yuan, umgerechnet rund 5000 Euro, müssen gefunden werden, bevor eine Anzeige möglich ist. Und so werden die Nähmaschinen auch in dieser Fälscherklitsche wohl schon bald wieder weitersurren.

China mangele es am "politischen Willen", den Fälschern wirklich das Handwerk zu legen, schreibt die IACC in ihrem Jahresbericht. Weil aber die USA und Europa enormen diplomatischen Druck auf China ausüben, besseren Markenschutz zu gewährleisten, haben sich Chinas führende Genossen das Thema zumindest rhetorisch auf die Fahnen geschrieben.

"China wird ein effektives System zum Schutz geistigen Eigentums mit strikter Strafverfolgung und strenger Überwachung aufbauen", sagte Ministerpräsident Wen Jiabao im April auf einer Antifälschungs-Ausstellung im Pekinger Militärmuseum.

Da hat die Zentralregierung noch einiges zu tun, denn bislang ist vor allem von Strafverfolgung noch nicht viel zu sehen. "Im letzten Jahr haben wir 300 Razzien durchgeführt", sagt Michael Feng, "also fast eine pro Tag. Aber nur fünf Leute sind am Ende ins Gefängnis gewandert."

China verlasse sich bei der Bekämpfung der Produktpiraterie "fast ausschließlich auf administrative Strafen, nicht auf die Polizei oder die Justiz", sagt der führende amerikanische Copyright-Anwalt in China, Joseph Simone von Baker & McKenzie.

Die Strafen seien zudem so niedrig, dass sie von den Fälschern einfach einkalkuliert würden. Ein paar tausend Euro seien schon viel. Vor Gefängnisstrafen müssten sie kaum Angst haben, egal wie viele Millionen sie gescheffelt haben. "Es gibt einfach sehr wenig Abschreckung", sagt Simone.

Pekings offizielle Statistiken bestätigen dies. Laut Chinas jüngstem "Weißbuch" über seinen Kampf gegen Produktfälschung sind von 113000 Fällen aus den Jahren 2001 bis 2004 nur 283 der Polizei übergeben worden. "Sie sagen uns immer, sie hätten nicht genug Polizisten und Gefängniszellen", sagt Michael Feng.

Ein Zimmer voller Kartons

Etwa die Hälfte der chinesischen Fälscherware wird nicht in Hinterhofwerkstätten gefertigt, sondern in modernen Fabriken, die völlig unbehelligt vor den Augen der Behörden arbeiten. Korrupte lokale Beamte haben wenig Interesse daran, diese Fabriken zu schließen.

Die Firmenbosse - ein beachtlicher Teil von ihnen sind Branchenkennern zufolge Investoren aus Taiwan - zahlen stattliche Schmiergelder und manchmal sogar Steuern, die Zentralregierung hingegen nur mickrige Gehälter.

Es gibt mehrere Städte in Südchina, die als "gesetzfreie Zonen" gelten, was Produktpiraterie betrifft. "In Putian in der Küstenprovinz Fujian ist es unmöglich, Fälscher zu schnappen", sagt ein Privatdetektiv in Guangzhou. "Wenn man da bei einer Razzia 500 Paar Turnschuhe sicherstellt, schreibt die Polizei 50 Paar in ihren Bericht. So sichern sie sich vor Ort ihr Wirtschaftswachstum."

Viele der Großaufträge für Fälschungen kommen aus dem Ausland. Manche Fälscher haben daher bereits begonnen, ihre Waren über das Internet direkt zu vermarkten. Sie werden nur in den seltensten Fällen geschnappt, weil solche Ermittlungen noch schwieriger sind. Immerhin wurde kürzlich eine Webseite geschlossen, deren Inhaber gerade 20000 Nike-Schuhe für die Verschiffung verpackte.

"Aber wenn wir eine Webseite dicht gemacht haben, dann macht gleich wieder die nächste auf", stöhnt ein ausländischer Markenschutzexperte in Guangzhou, der lieber anonym bleiben möchte.

Und so kann sich Michael Feng nie über mangelnde Arbeit beklagen. Am nächsten Morgen rollt erneut eine Autokolonne los, diesmal in das Huanshi-Xilu-Viertel im Westen Guangzhous.

Es ist ein typisches Arbeiterviertel. Frauen hocken auf Holzschemeln vor der Tür und stillen ihre Babys. Ein Mann verkauft Melonen von der Ladefläche eines Dreirads. Die Eingangstür eines Wohnhauses ist vergittert. Auf dem Balkon neben der Tür hängt Wäsche auf der Leine.

Als die Beamten in die "Wohnung" eindringen, entpuppt sie sich als Zwischenlager für gefälschte Sportschuhe. Mehrere Zimmer sind bis unter die Decke mit Kartons voller Sneakern der Marken Puma, Adidas und Le Coq Sportif vollgestopft. Ein 27-jähriger Mann in Khaki-Shorts und T-Shirt namens Ouyang Shizang ist der Besitzer.

Er gibt zu Protokoll, dass er nicht gewusst habe, dass die Ware gefälscht sei. "Das sagen sie alle", sagt die chinesische Beamtin, die einen Bericht ausfüllt und zuckt mit den Achseln. Die Schuhe werden abtransportiert. Sie sollen verbrannt werden. Der Fälscher darf nach Hause gehen.

Süddeutsche Zeitung TV zeigt am Montag um 23 Uhr bei VOX die Reportage "Die Marken-Mafia - Produktpiraten und die Fußball-WM".

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