Süddeutsche Zeitung

Problemfall Westerwelle:Die FDP-Bigband bläst zum Abschied

Guido Westerwelle hat der FDP alles genommen, was zu Liberalität gehört: Mitte, Maß und Balance. Es ist aus für Westerwelle. Die ganze Partei weiß es, nur ihr Vorsitzender offenbar noch nicht.

Heribert Prantl

It's all over now. Der Song ist etwa so alt wie Guido Westerwelle. Einst haben ihn die Rolling Stones gespielt; jetzt spielt ihn die Brüderle-Combo für ihren Vorsitzenden zum Abschied. Die Combo übt jeden Tag in geheimen Zirkeln; sie hat innerhalb weniger Tage so viel Zulauf gekriegt, dass aus ihr eine FDP-Bigband geworden ist.

Die dreht den Verstärker weit auf, auch als Rezept gegen die Angst. Die FDP hat Angst wie kaum je zuvor. Es ist Existenzangst, Angst vor dem Sturz ins Bodenlose. Um wieder Auftrieb zu kriegen, will sie Ballast abwerfen. Der Ballast heißt Westerwelle.

Der Parteichef, vor einem guten Jahr strahlender Sieger der Bundestagswahl, ist zur tragischen Figur geworden. Er hat seine Partei in höchste Höhen gehoben und sie dann in tiefste Tiefen gestürzt. Er hat ihr viel gegeben, aber noch mehr genommen - nämlich all das, was zur Liberalität gehört: Mitte, Maß und Balance.

Die Medienvirtuosität, die ihn als Oppositionspolitiker auszeichnete, hat sich nun, seitdem die FDP in der Regierung ist, gegen ihn gewendet. Früher galt er als Prophet des freien Marktes; jetzt gilt er als politischer Spekulant, der zu lange und fast ausschließlich auf Steuersenkungen gesetzt hat. Westerwelle ist gewiss nicht das einzige Problem der FDP, aber er ist ihr größtes.

Es ist aus, es ist wohl ganz aus für Westerwelle - als Parteichef und als Außenminister. Die Respektabilitäten der Partei glauben nicht mehr daran, dass er sich nach seinem Rücktritt als Parteichef im Amt des Außenministers politisch noch erholen kann. It's all over now. Die ganze Partei weiß es, nur ihr Vorsitzender offenbar nicht. Es wird die Aufgabe des Ehrenvorsitzenden Genscher sein, ihm das beizubringen.

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Quelle:
SZ vom 17.12.2010/hai
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