Problem Atommüll:Verrottetes Vertrauen

Die schwerwiegenden Pannen im Atommüllendlager Asse II schaden dem Vertrauen in die Kernenergie. Eine Lösung für die Lagerung von radioaktivem Müll drängt.

Wolfgang Roth

Ein kleiner, teilweise bewaldeter Höhenzug in der Nähe von Wolfenbüttel, für Botaniker ein interessantes Revier, ansonsten nicht sehr erhebend. Dafür hat es der Untergrund der Asse in sich. In den Stollen und um die Stollen herum, die einst durch den Abbau des Steinsalzes entstanden, ist so einiges in Bewegung: Deckschichten verformen sich, Salzlauge flutet in Hohlräume - eine durchaus nicht ungewöhnliche Folge der bergmännischen Tätigkeit.

Problem Atommüll: Nach den schwerwiegenden Pannen im Atommülllager Asse (im Bild) wird auch der mögliche Endlagerstandort Gorleben wieder kritisch hinterfragt.

Nach den schwerwiegenden Pannen im Atommülllager Asse (im Bild) wird auch der mögliche Endlagerstandort Gorleben wieder kritisch hinterfragt.

(Foto: Foto: ddp)

Aber der Schacht Asse II ist eben mehr als ein Relikt früherer Ausbeutung, er ist ein Forschungslabor, in das mehr als ein Jahrzehnt lang mittel- und schwachradioaktives Material eingelagert wurde. Das hat nun erhebliche Folgen für die Zukunft der Kernenergie im Land - und für die Suche nach einem nationalen Endlager, das so oder so benötigt wird - ob die Reaktoren nun kürzer laufen oder länger.

Der Vertrauensschaden ist da. Er lässt sich nicht dadurch wegdiskutieren, dass die Asse nicht für das hochbrisante Material bestimmt war, für die ausgedienten Brennelemente der Atomkraftwerke. Die Bevölkerung in einem Staat, der sich etwas auf die höchsten Sicherheitsstandards einbildet, hat gewisse Erwartungen. Sie erwartet nicht, dass sich eine Forschungseinrichtung mühsam und mit der Befragung früherer Mitarbeiter Kenntnis darüber verschaffen muss, welches Inventar wann eingelagert wurde.

Sie rechnet damit, dass die Behörden von Land und Bund jederzeit genauestens informiert sind, wenn radioaktive Flüssigkeit an Ort und Stelle oder anderswo entsorgt wird. Und sie kann nur schwer verstehen, dass mehr als 100.000 Fässer mit radioaktivem Müll in unterirdischen Kammern verrotten können, ohne dass dafür ein atomrechtliches Verfahren nötig ist.

Asse ist nicht Gorleben

Schon wahr, in den sechziger Jahren hätte noch kein Hahn danach gekräht. Das nützt aber der Helmholtz-Gesellschaft in München nichts, die seinerzeit noch Gesellschaft für Strahlenforschung hieß; deren Leitung konnte damals nicht ahnen, welch bleischwere Last sie sich mit dem Forschungsbergwerk einhandelte. Es nützt auch den Befürwortern eines Endlagers in Gorleben nichts. Dass der forsche Bundesumweltminister Sigmar Gabriel die Schlampereien nicht mit Wohlgefallen kommentieren würde, war klar. Die Atomenergie wird ein zentrales Thema im Wahlkampf. Es sind aber nicht nur Sozialdemokraten, Linke und Grüne, die nach den jüngsten Erkenntnissen über die Asse an der Zuverlässigkeit der Betreiber zweifeln.

Die Asse ist nicht Gorleben, darauf hat Gabriel zu Recht hingewiesen. In Gorleben wurde kein Salz abgebaut; ein Endlager würde völlig neu konstruiert und, so weit das möglich ist, den speziellen Bedürfnissen eines Abfalls angepasst, der über Hunderttausende Jahre strahlt. Trotzdem hat die mangelhafte Standsicherheit der Asse Auswirkungen auf die Sicherheit des Standpunkts, Salzformationen seien per se die bestmögliche Lagerstätte. Und weil die einen so felsenfest davon überzeugt sind, dass Gorleben geeignet ist, wie die anderen vom Gegenteil, muss immer wieder auf eine Tatsache hingewiesen werden: Die Anlage in Gorleben ist ein Erkundungsbergwerk. Wer erkundet, für den muss das Ergebnis offen sein.

In den Vorstandsetagen der Stromkonzerne und in weiten Teilen der Union ist die Sache hingegen klar, obwohl es wirklich kein Geheimnis ist, dass für die Erkundung des Standorts Gorleben auch Sicherheitserwägungen ganz anderer Art maßgeblich waren. Hier war einmal ein atomares Zentrum mit Wiederaufbereitungsanlage geplant, die Gegend ist dünn besiedelt und lag an der Grenze zur DDR.

Die Gorleben-Befürworter verweisen lobend auf Finnland, wo wohl das erste europäische Endlager für hochradioaktiven Atomabfall in Betrieb gehen wird, das in einem demokratischen Verfahren ermittelt wurde. Aber in Finnland begann alles mit Voruntersuchungen an etwa 100 Standorten, bis sich der Kreis immer enger schloss und am Ende - sicher kein Zufall - in einer Gemeinde endete, deren Bevölkerung schon ganz gut mit zwei Reaktoren lebte.

Der Makel, nie ein offenes Auswahlverfahren riskiert zu haben, haftet zäh an der Vorentscheidung für Gorleben. Er ließe sich beheben, die Vorarbeiten fanden schon unter der rot-grünen Regierung statt. Allerdings sind für Gorleben schon weit mehr als eine Milliarde Euro versenkt worden - Mittel, die im Wesentlichen die Stromkunden aufgebracht haben. Ein zweiter Anlauf würde noch einmal viel Geld kosten und sicher den massiven Protest an jedem anderen Standort provozieren, der geeigneter erschiene. Dafür aber könnte sich der Staat, der dort sein Gewaltmonopol durchsetzt, voll und ganz auf die Legitimität einer objektiven Entscheidung berufen.

Einen großen Teil der Anti-Atom-Demonstranten wird das nicht überzeugen. Wer jedes Endlager blockiert, trägt aber seinen Teil dazu bei, dass die Entsorgung der gefährlichen Abfälle ungelöst bleibt. Alle anderen, ob sie nun von der Beherrschbarkeit dieser Hochrisikotechnik überzeugt sind oder nicht, müssen auf größtmögliche Transparenz und funktionierende Kontrolle vertrauen können. Die Praxis in der Asse ist keineswegs eine Katastrophe, schon gar kein GAU, aber nicht vertrauenschaffend.

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