Organspende:Pro Widerspruchslösung: Die Entscheidung ist mündigen Bürgern zuzutrauen

Transplantation

Einem Spender wird eine Niere entnommen.

(Foto: Jan-Peter Kasper/dpa)

Derzeit werden die Organe oft aus Ländern importiert, wo die Regelung bereits gilt. Das ist absurd und beschämend.

Kommentar von Michaela Schwinn

Angenommen, man wird schwer krank, die Lunge macht nicht mehr mit, die Leber ist von Schwermetallen geschädigt oder das Herz ist schwach. Würde man ein Spenderorgan nehmen? Ja - oder nein? Kaum einer müsste lange überlegen, denn schließlich geht es ums Überleben; und nichts ist wichtiger.

Die Mehrheit aber, die mit Freude das Organ eines anderen nehmen würde und es vielleicht sogar als selbstverständlich erachtet, dass ihr geholfen wird, diese Mehrheit hat sich nicht entschieden - weder für eine Spende noch dagegen. Den meisten ist es zu kompliziert, zu bedrückend, sich mit dem eigenen Tod auseinandersetzen. Bei manchen mag es Unwissen sein oder Desinteresse, bei anderen pure Faulheit. Nur 36 Prozent der Deutschen haben einen Spenderausweis, obwohl 84 Prozent einer Spende positiv gegenüberstehen.

Das Organspendesystem hierzulande ist ein System auf Kosten derer, die sich Gedanken gemacht haben und Verantwortung übernehmen. Es ist ein System der Ignoranz. Ja, noch schlimmer: Es ist ein System der Heuchelei. Denn in Deutschland gibt es so wenige Spenderorgane, dass Nieren und Lungen importiert werden müssen. Diese werden häufig aus Ländern eingeführt, in denen die Widerspruchslösung gilt: Im Falle des Hirntods wird jeder automatisch zum potenziellen Spender, der solch einem Eingriff zuvor nicht ausdrücklich widersprochen hat. Unser Gesundheitswesen profitiert letztlich von einem Modell, das die deutsche Politik bislang mehrheitlich ablehnt. Das ist absurd, es ist beschämend.

Der freie Wille bliebe erhalten

Gesundheitsminister Jens Spahn will das nun ändern und, ähnlich wie in den meisten europäischen Ländern, auch hierzulande die Widerspruchslösung einführen. Das ist sinnvoll, denn dadurch könnten auch diejenigen zu Spendern werden, die eine Entnahme gutheißen, das aber nicht explizit festgehalten haben. Es ließen sich so viele Menschenleben retten. Natürlich wäre das ein gewaltiger Eingriff des Staates in das Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen, in die Autonomie der Menschen. Aber der freie Wille bliebe ja dennoch erhalten: Wer eine Entnahme von Organen aus religiösen Gründen ablehnt, wer Bedenken hat oder unversehrt begraben werden will, muss nicht spenden. Nein heißt nein.

Eines aber sollte nicht passieren: Wenn eine neue Regelung eingeführt wird, darf diese die Menschen nicht noch mehr verunsichern. Schon jetzt ist das Thema Organspende behaftet mit Misstrauen und Angst. Deswegen müssen Ärzte und Behörden die Menschen besser aufklären: Wann dürfen Organe entnommen werden? Wie werden sie verteilt? Und was genau bedeutet die Widerspruchslösung? Denn Umfragen zeigen, dass viele Menschen in Ländern, in denen diese Lösung gilt, gar nicht wissen, was es damit auf sich hat. Ich? Automatisch Spender?, fragen sie überrascht.

Nur wer informiert ist, kann sich eine Meinung bilden. Dann aber sollte es keine Ausreden mehr geben. Jedem mündigen Bürger kann man zumuten, sich Gedanken zu machen und sich zu entscheiden: Ja - oder nein? Schließlich geht es ums Überleben; und nichts ist wichtiger.

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