PRO: Europa braucht mehr Proteste
Von Heribert Prantl
Natürlich darf man zornig sein. Man darf zornig sein, wenn die Aktienmärkte bersten, die EZB aber immer mehr Geld samt Sparauflagen in die Welt schüttet. Natürlich darf man zornig darüber sein, dass die unglaublich niedrigen Zinsen nur zu Spekulation führen und nicht zu Investitionen.
Natürlich darf man fordern, dass die Staaten Europas das billige Geld vom Kapitalmarkt nehmen und damit ein gewaltiges Konjunkturprogramm finanzieren, eines, das sich gewaschen hat; das Europa reinigt von Defätismus und neuen Gehässigkeiten; und das die ungeheuere Arbeitslosigkeit in Südeuropa drückt.
Natürlich dürfen Zornige und Wütende keine Autos anzünden und nicht herumprügeln. Aber man darf auch nicht, wie es in Frankfurt immer wieder geschieht, Proteste gegen den Finanzkapitalismus so gängeln, dass der erlaubte Demonstrations-Rest nicht sicherer, sondern gefährlicher wird.
Es ist nicht gut, wenn es die Blödheit von Randalierern der Politik erleichtert, in ihrer eigenen Dummheit zu verharren. Es ist auch nicht gut, wenn notwendiger Protest den Krawallmachern überlassen wird.
Ist wirklich der im Unrecht, der sich empört?
Ist wirklich der im Unrecht, der sich empört darüber, dass die EU 800 Milliarden Euro mobilisieren konnte, um Banken zu stabilisieren, aber nur sechs Milliarden, um Millionen arbeitslosen Jugendlichen zu helfen?
Es ist nicht skandalös, sich über diese Disproportion zu empören; es ist aber ein Skandal, dass selbst mit diesen sechs Milliarden bisher nichts Sinnvolles getan wurde; sie liegen noch immer sinnlos herum.
Der neue EZB-Bau in Frankfurt ist da wohl der falsche Protestort, aber gleichwohl eine symbolhafte Adresse. Im EZB-Bau sitzen die Hüter des Euro. Sie könnten in den Demonstranten Verbündete sehen.
Denn es wird, um Finanz- und Wirtschaftskrisen zu packen, einer weichen müssen - der Euro oder der Finanzkapitalismus. Blockupy-Leute und Euro-Banker haben das gemeinsame Interesse daran, dass es nicht der Euro ist.
Europa braucht friedlich-zornige Proteste
Das ökonomistische Europa existiert, das sozial-solidarische Europa nicht. Das ist der Mühlstein am Hals der europäischen Zukunft.
Wer davor warnt, dass Sparpolitik nicht die Würde von Menschen und Nationen zerstören darf, der ist kein Depp, sondern ein Europäer. Es ist nicht gut, wenn aus Austeritätspolitik triumphalistischer deutscher Moralismus wird. Das muss gesagt werden können - in Athen, Madrid, Frankfurt.
Europa braucht friedlich-zornige Proteste. Die gerechte Verteilung des Reichtums, den diese fordern, fördert den inneren Frieden.