Pro Recht auf Sterbehilfe:Wer sterben will, muss sterben dürfen

Pro Recht auf Sterbehilfe: Wer sterben will, muss auch sterben dürfen, argumentiert Thorsten Denkler.

Wer sterben will, muss auch sterben dürfen, argumentiert Thorsten Denkler.

(Foto: Imago Stock&People)

Gibt es neben dem Recht auf Leben eine Pflicht zum Leben? Der heute nötige Sterbetourismus ist nicht menschenwürdig. Das Grundgesetz garantiert, dass die Würde des Menschen unantastbar ist. Den eigenen Tod frei bestimmen zu können, gehört dazu.

Kommentar von Thorsten Denkler, Berlin

Es gibt diese Momente, in denen einem die eigene Endlichkeit vor Augen geführt wird. Wenn Freunde sterben, ist das so. Oder die eigenen Eltern. Es sind verwirrende Momente. Wir mögen wissen, dass es uns vor unserer Geburt nicht gab und nach unserem Tod nicht mehr geben wird. Zumindest in einem physischen Sinne. Aber dies zu akzeptieren, fällt schwer.

Pro und Contra Sterbehilfe

Dieser Kommentar von Thorsten Denkler argumentiert, warum das Recht auf Sterbehilfe etabliert werden sollte. Hier vertritt Nina von Hardenberg den gegensätzlichen Standpunkt.

Wer aber über Sterbehilfe nachdenkt, zumal über die aktive Sterbehilfe, der muss ein Gefühl für die Begrenztheit des Lebens entwickeln. Und in Frage stellen, ob es neben dem Recht auf Leben eine Pflicht zum Leben gibt.

Menschen die sterben wollen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, haben diese Frage für sich mit einem Nein beantwortet. Es sind nicht viele, die im Freitod den einzigen Ausweg sehen. Mehr als 100.000 Menschen begehen Jahr für Jahr einen Suizidversuch. Aber nur etwa 10.000 sterben tatsächlich. Und nur etwa 200 Menschen nehmen die Dienste von Sterbehelfern in Anspruch. Unabhängig davon, ob die individuellen Gründe für Außenstehende nachvollziehbar sind: Sie haben ihr Recht wahrgenommen, den Zeitpunkt ihres Todes selbst zu bestimmen.

Es geht um einen würdigen Abschied vom Leben. Die Würde des Menschen ist unantastbar. So steht es im ersten Artikel des Grundgesetzes. Herr über das eigene Leben zu sein, den Ort und den Zeitpunkt des eigenen Todes frei bestimmen zu können, gehört dazu.

Die Bibel kann für den Staat nicht Maßstab sein

Die Kirchen haben eine andere Haltung. Sie sehen Gott als alleinige Instanz, die über Leben und Tod entscheiden darf. "Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen", so steht es in der Bibel. "Selbstmord" gilt als schwere Sünde. Für Christen ist dies eine Frage des Glaubens. Für den Staat aber kann die Bibel nicht der Maßstab sein.

Friedrich Nietzsche hat den Begriff "vom freien Tode" in seinem Werk "Also sprach Zarathustra" geprägt. Darin heißt es: "Meinen Tod lobe ich euch, den freien Tod, der mir kommt, weil ich will."

Darin muss die staatliche Aufgabe liegen: dem freien "ich will" in einer der schwersten Entscheidungen, die im Leben getroffen werden kann, den nötigen Raum zu geben.

Der Weg in den Tod ist schwerer, als manche annehmen. Wer ans Bett gefesselt ist, der ist auf Hilfe anderer angewiesen. Irgendwer muss das tödliche Medikament besorgen. Schon das Rezept dafür zu bekommen ist ein Schritt in die Illegalität. Verboten ist diese assistierende Hilfe zum Freitod zwar im Prinzip nicht. Aber schon die Pflicht zur Hilfeleistung kann dem entgegenstehen. Unterlassene Hilfeleistung kann mit Gefängnis bestraft werden.

Sterbetourismus ist nicht menschenwürdig

In Deutschland gibt es Vereine, die Sterbehilfe organisieren. Dignitas zum Beispiel. Oder "Sterbehilfe Deutschland", der Verein des früheren Hamburger CDU-Justizsenators Roger Kusch. Sie können aber nur helfen, wenn es um assistierte Sterbehilfe geht. Rechtlich arbeiten sie dennoch in einer Grauzone.

Jene, die zu schwach sind, den Cocktail selbst mit der Hand an den Mund zu führen oder sich gar eine Spritze zu setzen, sind allein gelassen. Ihnen aktiv helfen, ihnen also auf ihren ausdrücklichen Wunsch die Spritze mit der tödlichen Substanz zu setzen, ist in Deutschland verboten. Töten auf Verlangen lautet der Straftatbestand und wird mit bis zu fünf Jahren Haft geahndet. Wer würde dieses Risiko auf sich nehmen?

In der Konsequenz müssten Menschen, die ihrem Leben ein Ende setzen wollen, es aber selbst nicht können, irgendwie ins Ausland kommen. In die Niederlande, nach Belgien oder Luxemburg, wo aktive Sterbehilfe nicht bestraft wird. Sterbetourismus. Menschenwürdig ist das nicht.

Im Bundestag zeichnen sich nur Mehrheiten ab, die lediglich die assistierte Sterbehilfe in engen Grenzen erstmals regeln und damit straffrei stellen wollen. Wenn etwa ein naher Angehöriger und Freund hilft. Oder auch ein Arzt, der sich dazu bereiterklärt. Das würde Rechtssicherheit für den jetzt schon im Prinzip legalen Weg bringen. Die aktive Sterbehilfe aber bleibt nach wie vor ein Tabu.

Fester Rahmen statt Verbote

Viele Abgeordnete wollen außerdem nicht nur die gewerbsmäßige sondern jede Form der organisierten Sterbehilfe verbieten. Das wäre sogar noch ein Rückschritt gegenüber dem Ist-Zustand. Statt Vereine zu verbieten, sollte ihnen der Gesetzgeber für ihre Arbeit einen festen Rahmen geben. Die Reform des Paragrafen 218 könnte den Weg zeigen.

Der Staat akzeptiert das Selbstbestimmungsrecht der Frau, stellt es über das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und lässt eine Abtreibung unter bestimmten Bedingungen zu. Davor ist nämlich eine eingehende Beratung in speziellen Schwangerschaftskonflikt-Beratungsstellen Pflicht. Sämtliche Alternativen zur Abtreibung müssen der schwangeren Frau vor Augen geführt werden. Und natürlich muss ein qualifizierter Arzt den Eingriff vornehmen.

Ähnliche Regeln könnte es für Sterbehilfevereine geben, damit der Tod - im besten Fall auch aktiv - legal herbeigeführt werden kann. Der Todeswunsch muss unmissverständlich sein. Aufgabe der Vereine müsste Beratung sein. Dem Todeswilligen müssen alle Möglichkeiten gezeigt werden, die ihm sein Leben wieder lebenswert erscheinen lassen könnten. Ein Arzt muss immer einbezogen sein.

Der Staat ist gefragt, die Pflegeheime zu menschenwürdigen Orten des Lebens zu machen. Es müssen mehr und bessere Plätze in Sterbehäusern, den Hospizen geschaffen werden. Die Schmerzbehandlung, die Palliativmedizin, muss ausgebaut werden. Niemand soll sich den Tod wünschen, weil er schlecht gepflegt wird oder vermeidbare Schmerzen ertragen muss. Es muss staatliche Pflicht sein, dafür Sorge zu tragen.

Wer dann immer noch den Tod sucht, dem darf der Staat diesen schweren Schritt nicht verweigern.

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