Pro:Die linke Mehrheit existiert

Altkanzler Willy Brandt sah einst eine "Mehrheit links der Mitte". Heute gibt es sie in einem stabilen Ausmaß.

Christoph Schäfer

Die "Mehrheit links der Mitte", von der Altkanzler Willy Brandt einst sprach, ist längst Realität. Schon bei der Bundestagswahl im September 2005 hätte es für ein Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei gereicht, doch die Zeit war noch nicht reif dafür.

Pro: SPD-Chef Kurt Beck erkennt die Zeichen der Zeit und öffnet seine Partei zur Linken.

SPD-Chef Kurt Beck erkennt die Zeichen der Zeit und öffnet seine Partei zur Linken.

(Foto: Foto: dpa)

Seit der Bundestagswahl haben die Deutschen neun Landesparlamente neu bestimmt. Und das Ergebnis fiel eindeutig aus: In sieben der neun Abstimmungen errang das linke Lager - zusammengerechnet - die Mehrheit im Parlament, nur in Baden-Württemberg und Niedersachsen reichte es für ein Bündnis aus CDU und FDP.

Im Konrad-Adenauer-Haus in Berlin läuten längst die Alarmglocken. Roland Koch, der mustergültige Konservative und ehemalige Kronprinz der Kanzlerin, ist mit seinem polarisierenden Wahlkampf gescheitert.

Weder seine Law-and-Order-Thesen noch seine Warnungen vor "den Kommunisten", vor "Mauer, Stacheldraht und Schießbefehl" haben beim Wähler verfangen. Würden sich SPD, Grüne und Linkspartei zusammenraufen, könnten sie ihn in Hessen absetzen. Besonders pikant: Nicht nur Roland Koch hatte der Hessen-Wahl im Vorfeld eine "Signalwirkung für den Bund" zugesprochen.

Abschied von der Agenda 2010

Darüber hinaus ist kaum zu leugnen, dass sich die großen Parteien seit dem Abgang Gerhard Schröders nach links bewegt haben. Die heutige CDU hat mit dem neoliberalen Programm des Leipziger Parteitags nur noch wenig gemein. Die SPD verabschiedet sich auf Raten von Schröders Agenda 2010 und erlaubt seit Montag ihren Landesverbänden auch offiziell, Bündnisse mit den Linken einzugehen.

Nicht zuletzt belegen die meisten Umfragen, dass die Themen der politischen Linken en vogue sind. Bis zu 80 Prozent der Deutschen befürworten inzwischen den Mindestlohn, der noch vor wenigen Jahren als demagogisches Projekt der Linkspartei verteufelt wurde.

Die öffentliche Empörung über die Gehaltsexzesse mancher Wirtschaftsführer, die aufgeregte Debatte über reiche Steuerflüchtlinge, über Kinder- und Altersarmut, über unzureichende Hartz-IV-Leistungen und die "neue Unterschicht": All das prägt die öffentliche Debatte seit vielen, vielen Monaten. Die Deutschen bekritteln die da oben und verstehen die da unten. Sie glauben, nichts vom Aufschwung zu haben und wollen eine andere Politik.

Auch auf der Ebene der Gesetzgebung geht es zunehmend nach links - langsam zwar, aber immerhin. Die Mindestlöhne sind gegen heftigen Widerstand der Union auch in der Postbranche durchgesetzt worden. Das Arbeitslosengeld I für Ältere wurde verlängert, ein höheres Wohngeld beschlossen, das Elterngeld eingeführt. Anfang nächsten Jahres werden die Hartz-IV-Sätze und das Kindergeld aller Voraussicht nach steigen.

Ende 2008 werden sich die Bundespolitiker dann endgültig auf die nächste Bundestagswahl ausrichten - und die linke Mehrheit in Deutschland umgarnen.

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