Kurz bevor der angeklagte Priester unter Ausschluss der Öffentlichkeit vor dem Landgericht Köln aussagt, möchte sein Verteidiger etwas klarstellen. Rüdiger Deckers kündigt ein "Opening Statement" an, ein recht neuer Bestandteil der Strafprozessordnung. Die Worte Deckers sind bemerkenswert.
Der bekannte Strafverteidiger aus Düsseldorf vertrat schon die Manager Josef Ackermann und Thomas Middelhoff sowie den früheren Formel-1-Boss Bernie Ecclestone vor Gericht. Im Missbrauchsfall von Kloster Ettal verteidigte er einen beschuldigten Pater.
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Sein Mandant diesmal, der 70-jährige Priester Hans Bernhard U., sei zwar beruflich in der katholischen Kirche tätig. Doch gehandelt haben soll er laut Deckers "außerdienstlich im privaten Bereich". Daher gehe es in diesem Prozess nicht um Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs im Rahmen der Institution Kirche, schlussfolgert der Verteidiger.
U. war als Pfarrer in Gummersbach tätig, einer Kleinstadt im Erzbistum Köln. Vor Gericht steht er, weil er zwischen 1993 und 1999 seine drei damals minderjährigen Nichten sexuell missbraucht haben soll. Bei dem Großteil der 31 angeklagten Taten waren die Mädchen Grundschülerinnen, in drei Fällen geht es um Vergewaltigung. Seine Nichten, von einer war U. auch der Taufpate, übernachteten als Kinder regelmäßig am Wochenende bei ihm. Besonders im Bad bei der Körperpflege soll es zu den sexuellen Übergriffen gekommen sein. Einer Nichte soll er für Oralverkehr einen Computer versprochen, ein Mädchen an ihrem Geburtstag vergewaltigt haben.
Im Erzbistum Köln herrschte ein "System der Unzuständigkeit"
Zudem wurde U. vor kurzem zum zweiten Mal angeklagt, weil er 2011 zweimal einem elfjährigen Mädchen sexuelle Gewalt angetan haben soll, als dieses mit einer Freundin bei ihm zu Besuch war. Zu diesem Zeitpunkt war U. als Krankenhausseelsorger tätig.
Deckers hatte zuvor den Antrag gestellt, die Öffentlichkeit bereits bei der Verlesung der Anklage auszuschließen. Der Vorsitzende Richter entschied: "Das öffentliche Interesse ist in diesem Fall insgesamt höher zu bewerten."
Allzu oft muss sich ein katholischer Priester wegen des Vorwurfs des Kindesmissbrauchs nicht vor einem irdischen Gericht verantworten. Mit U.s Fall hat sich sogar der Papst beschäftigt, er steht beispielhaft für das "System der Unzuständigkeit", das das im März veröffentliche Missbrauchsgutachten dem Erzbistum Köln bescheinigt; der Fall wird in dem Gutachten auf mehr als 20 Seiten thematisiert.
Erste Anschuldigungen gab es bereits vor elf Jahren gegen U., weil eine der Nichten Anzeige erstattet haben soll. Das Erzbistum Köln hatte durch einem anonymen Brief von den Ermittlungen erfahren. Der damalige Erzbischof Joachim Meisner beurlaubte U. zunächst von seiner Tätigkeit als Krankenhausseelsorger. Der damalige Personalchef und heutige Erzbischof von Hamburg, Stefan Heße, lud U. zu einem Gespräch, von dem das Protokoll fehlt. Deswegen hatte Heße dem Papst viele Jahre später seinen Rücktritt angeboten - ohne Erfolg.
Weil 2011 eine der Nichten - wohl auf Druck der Familie - ihre Anzeige zurückgezogen hatte, wurden die staatanwaltlichen Ermittlungen eingestellt. Im Erzbistum Köln kamen hochrangige Geistliche zu dem Schluss, "dass nichts weiter zu tun war" und setzten U. wieder als Krankenhausseelsorger ein. Erst durch den heutigen Kölner Erzbischof Rainer Maria Woelki wurde der Fall neu aufgerollt, er meldete U. nach Rom - und an die Staatsanwaltschaft.