Presseschau zum Plagiatsfall Schavan:"Jetzt ist es doch passiert"

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Der Kommentator findet, dass ganz andere Gründe für einen Rücktritt sprechen würden. (Foto: Screenshot: Zeit Online)

Vergleiche mit Karl-Theodor zu Guttenberg, Lösungsvorschläge für den Umgang mit Promotionen und Antworten auf die dringende Frage: Darf eine Bundesbildungsministerin mit offensichtlichen Lücken in wissenschaftlicher Methodik ihren Posten behalten? Meinungen aus der Presse zur Aberkennung des Doktortitels von Annette Schavan.

Zeit Online: "Die Kanzlerin sollte gelassen bleiben. So manche Doktorarbeit in Deutschland würde der Überprüfung durch Internetaktivisten und Kommissionen nicht standhalten. Ginge es gerecht im Sinne schavanscher Maßstäbe zu, müsste eine Aberkennungswelle durch die Republik rollen. Die Regierung muss zeigen, dass es einen Weg gibt, mit den Fünden der Plagiatsjäger souverän umzugehen. Es gibt einen viel besseren Grund, warum die CDU-Politikerin als Wissenschaftsministerin abtreten sollte: Ihre politische Arbeit. Schavans Bilanz darf man getrost als schwach bezeichnen."

Stuttgarter Zeitung: "Als Bundesministerin für Bildung und Forschung verkörpert Annette Schavan persönlich, stärker als jeder andere die Qualität und Lauterkeit der deutschen Wissenschaft. Wie soll sie von nun an noch glaubwürdig über akademische Exzellenz, über wissenschaftliche Qualität sprechen können? Gewiss, die politisch-moralischen Maßstäbe sind im Fall Schavan besonders streng. Sie wird - das kündigen ihre Anwälte bereits an - das Urteil der Universität juristisch anfechten; dabei ist nicht völlig auszuschließen, dass sie nach vielen Monaten vor Gericht obsiegt. Aber ihre Glaubwürdigkeit und Wirkungskraft als Ministerin sind ab sofort so stark beeinträchtigt, dass sie das Amt abgeben sollte."

Spiegel Online: "Der Fall Schavan ist kein einfacher. Die 57-Jährige hat dicke Fehler gemacht, keine Frage. Aber sie ist keine Blenderin wie der gefallene Hoffnungsträger der CSU, Karl-Theodor zu Guttenberg, der seine ganze Arbeit im Copy-und-Paste-Verfahren zusammenpuzzelte. Und die Arbeit mit dem Titel 'Person und Gewissen', um die es hier geht, entstand vor 30 Jahren. Nicht nur die Ministerin fühlt sich ungerecht behandelt. Etliche hochkarätige Vertreter aus der Wissenschaft haben die Uni während des Verfahrens zur Aberkennung scharf angegriffen. Nicht zuletzt diese Unterstützung dürfte Schavan ermutigt haben gegen den Titelentzug zu klagen. Flüchtigkeitsfehler hat sie zuletzt eingeräumt. Aber: 'Eine Täuschung hat es nicht gegeben', betonten ihre Anwälte am Dienstagabend.

Bild.de: "Mit der Aberkennung ihres Doktortitels ist das Lebenswerk von Annette Schavan zerstört. Als Bundesbildungsministerin ist sie Leitfigur für Professoren, Doktoranden und Wissenschaftler. Seit mehr als sieben Jahren ist sie Bildungsministerin; Bildung und Forschung ist ihr Markenkern, die Grundlage ihres politischen Handelns. Wenn nun ausgerechnet die Bildungsministerin bei ihrer Doktorarbeit geschummelt hat, dann ist das so als würde der Finanzminister sein Geld heimlich in der Schweiz verstecken oder der Verkehrsminister betrunken Auto fahren."

FR-Online: "Dass die Arbeit von Annette Schavan erhebliche wissenschaftliche Mängel aufweist, dürfte unstrittig sein. Dass sie jedoch nach über 30 Jahren einer Neubewertung mit massiven Folgen für die Karriere von Annette Schavan unterzogen wird, ist zumindest fragwürdig. Ginge es hier um Strafrecht, die Vergehen wären längst verjährt. Einen objektiven Standpunkt konnte die Düsseldorfer Universität schon deshalb nicht einnehmen, weil ihr eigener Ruf mit auf dem Spiel stand. Frau Schavan verliert einen Titel. Die Verluste der Wissenschaft sind noch zu ermitteln."

Faz.net: "Ein Vorschlag zur Gerechtigkeit. (...) Würde beispielsweise aus den Mitteln der "Allianz der großen Forschungsorganisationen" (DFG, Max-Planck und so weiter) ein Sonderprogramm zur Akribischen Untersuchung der Gesamtmenge inländischer Altpromotionen (AUGIAS) aufgelegt, dann müsste in dessen Rahmen nur für eine Prüferzahl von etwa 300.000 gesorgt werden, damit die Sache in gut fünfzehn Jahren erledigt wäre. Das wiederum entspräche ungefähr dem Doktorandenaufkommen von nur fünfzehn Jahren deutscher Universitätsgeschichte.

Was uns nun endgültig einer Lösung des Problems nahebringt. Es wird einfach jeder Promovend verpflichtet, nach Abschluss seines Verfahrens sofort und für die nächsten Jahrzehnte Kommissionen zur Überprüfung aller anderen Promotionen zur Verfügung zu stehen. Vermutlich würde allein die Aussicht, so gelesen zu werden, vom Schreiben abhalten, und dann ginge die Sache arithmetisch auf."

Welt.de: "Die Entscheidung der Hochschule ist keine Überraschung. Nicht weil die Anschuldigungen so gravierend gewesen wären, dass kein anderes Urteil denkbar war. Anders als im Fall Guttenberg gehen bis heute die Einschätzungen über Schavans Arbeit innerhalb der Wissenschaftszene weit auseinander. (...) Die Heinrich-Heine-Universität muss sich auf stürmische Zeiten einstellen. Denn souverän hat sie das Verfahren nicht gemeistert. Da waren immer wieder bezeichnende Indiskretionen zu verzeichnen. (...)

Zu erwarten ist nun auch eine Debatte über die Standards wissenschaftlichen Arbeitens. Not tut sie in jedem Fall. Die Bewertung von Abschlüssen ist nach wie vor von Bundesland zu Bundesland, ja von Uni zu Uni verschieden. (...) Ein neues, bundesweit gültiges Abschluss- und Zulassungs-Rahmengesetz gibt es nicht, auch weil es Schavan in ihrer Amtszeit versäumt hat, einen entsprechenden Vorstoß zu unternehmen."

Nordwest-Zeitung (Oldenburg): "Den früheren Verteidigungsminister zu Guttenberg und die FDP-Politiker Koch-Mehrin und Chatzimarkakis verbindet, dass sie sich persönlichen Konsequenzen aus der Aberkennung des Doktortitels trotzig verweigert haben. Schavan gilt als Politikerin aus einem anderen Holz; an Werten orientiert und nicht karriereversessen. Das könnte sie nun unter Beweis stellen: mit ihrem schnellen Rücktritt."

Schwarzwälder Bote (Oberndorf): "Der Rechtsweg steht Schavan zu. Gewiss. Die Ministerin wird aber auch wissen, was jetzt zu tun ist: An zu Guttenberg hatte sie hohe Maßstäbe angelegt. Zu Recht. Jetzt wiegt auch für sie der Täuschungsvorwurf tonnenschwer."

Leipziger Volkszeitung: "Angela Merkel, die bei zu Guttenbergs Plagiatsaffäre zu lange gezögert hatte, wird es sich diesmal kaum leisten können, vor dem Start des Bundestagswahlkampfs eine angeschlagene Ministerin zu halten. Die Entscheidung der Düsseldorfer Universität ist auch eine schwere Hypothek für Merkel. Da nur wenige Stunden vorher die Meldungen über das mögliche Aus von Stuttgart 21 für Verunsicherung sorgten, wird deutlich, dass es gestern ein ziemlich schwarzer Tag für die Bundesregierung war."

Neue Osnabrücker Zeitung: "Unbescholten, angesehen, Freundin der Kanzlerin: Es sah so aus, als könnte dieser Ministerin nichts passieren. Jetzt ist es doch passiert. Annette Schavan, die so stolz ist auf ihre Meriten in der Politik und vor allem in der Wissenschaft, steht vor dem Nichts. Sie hat den Titelkampf verloren. Und sie wird nach der Doktorwürde auch ihr Amt abgeben müssen. Eine Ministerin für Bildung und Forschung, die fremde Gedanken ohne korrekte Kennzeichnung übernahm, ist nicht vermittelbar."

Rheinische Post (Düsseldorf): "Im Fall ihres früheren Amtskollegen zu Guttenberg, dessen plumpes Plagiat nur bedingt mit der Arbeit Schavans zu vergleichen ist, hat sie selbst die Maßstäbe formuliert. Sie würde sich schämen, hatte sie damals gesagt. Jetzt muss sie sich gefallen lassen, dass diese Standards auch an sie angelegt werden. Ob sie wirklich vorsätzlich getäuscht hat, wie der Fakultätsrat festgestellt hat, wird wohl erst ein Gericht letztlich beurteilen. Mit einem Amtsverzicht kann sie jetzt schon ein klares politisches Zeichen setzen."

Berliner Zeitung: "Schon jetzt ist klar, dass die Entscheidung nicht nur die wissenschaftliche Reputation von Frau Schavan betrifft. Eine Bildungsministerin, die als überführt gilt, Teile ihrer Dissertation plagiiert zu haben, dürfte kaum noch in diesem Amt zu halten sein. (...) Dass die Arbeit von Annette Schavan erhebliche wissenschaftliche Mängel aufweist, dürfte unstrittig sein. Dass sie jedoch nach über 30 Jahren einer Neubewertung mit massiven Folgen für die Karriere von Annette Schavan unterzogen wird, ist zumindest fragwürdig. Ginge es hier um Strafrecht, die Vergehen wären längst verjährt."

Lübecker Nachrichten: "Annette Schavan wird über kurz oder lang ihren Hut nehmen, wahrscheinlich wird es eher bald sein. Die Kanzlerinnen-Vertraute ist nach dem Votum des Fakultätsrats nicht mehr am Kabinettstisch zu halten, sie wurde von der Stütze der Kanzlerin zur offenen Flanke der Union."

Nordbayerischer Kurier (Bayreuth): "Das System Merkel wankt; die engste Vertraute der Kanzlerin, Annette Schavan, ist nach dem Verlust ihres Doktortitels nicht mehr zu halten. Anders als im Fall Guttenberg, den Schwarz-Gelb mitten in der Legislaturperiode auffangen und verarbeiten konnte, wird die Koalition gleichsam auf den letzten Metern getroffen und gelähmt. Rot-Grün wird sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, dieser waidwunden Regierung keine Chance zur Erholung zu geben. Jetzt kämpft jeder gegen jeden. Der Wahlkampf wird hart und unbarmherzig werden, wie selten einer vorher."

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