Presseschau zu Syrien-Krise:"Sämtliche Optionen sind schlecht"

Soll der Westen in Syrien eingreifen, um die Krise zu beenden? Ist es überhaupt logisch, dass Assad Giftgas einsetzt? Steht US-Präsident Obama unter Zugzwang? Die jüngsten Entwicklungen der Syrien-Krise kommentiert von Europas Tageszeitungen.

Zur Krise in Syrien: Pressestimmen aus Europa im Überblick.

Der linksliberale britische Independent warnt vor Militäraktionen des Westens in Syrien:

"Der Premierminister (David Cameron) sollte sich kein Beispiel an (Ex-Premierminister) Tony Blair nehmen. Der hat ernsthaft geglaubt, dass er und die Amerikaner zusammen im Irak die Demokratie einführen könnten, wenn sie den verhassten Diktator (Saddam Hussein) erst beseitigt hätten. Nun wissen wir alle, was im Irak passiert ist. Wenn der Westen aus ähnlichen Beweggründen wie im Irak in Syrien ein neues militärisches Abenteuer eingeht und wenn dadurch womöglich noch größeres Unheil über die Bürger Syriens hereinbricht, dann wird Cameron seinen Teil der Verantwortung dafür übernehmen müssen."

Die Neue Zürcher Zeitung kommentiert das Dilemma, in dem US-Präsident Barack Obama in der Causa Syrien steckt:

"Assads Truppen verfügen sowohl über C-Waffen als auch über die Trägermittel. Nachrichtendienste vermuten allerdings seit längerem, dass sich auch einzelne Gruppen unter den Aufständischen in den Arsenalen des Regimes bedient haben. Wer lügt also, was stimmt? Genau hier liegt das Dilemma für Obama. Die USA wissen aus bitterer Erfahrung, dass ein aus moralischen Gründen geführter Krieg kein besserer Krieg ist. Richtigerweise scheut sich der Präsident davor, seinen markigen Worten militärische Taten folgen zu lassen. Allerdings hat auch Nichtstun einen Preis. Dieser steigt täglich - für die USA, weil sie an sicherheitspolitischer Glaubwürdigkeit verlieren, vor allem aber für die Zivilbevölkerung in Syrien, die dem Terror des Krieges schutzlos ausgeliefert ist."

Zur Möglichkeit eines militärischen Eingreifens in Syrien schreibt die regierungsnahe Budapester Tageszeitung Magyar Nemzet:

"Es ist überhaupt nicht logisch, dass Damaskus gerade zu einem Zeitpunkt Giftgas einsetzt, wo es militärische Erfolge erzielt und außerdem noch mit dieser Frage befasste UN-Inspekteure im Lande eintreffen. (...) Die Lage erinnert gespenstisch an frühere Militärinterventionen, als deren Befürworter, sich um nichts scherend, verkrampft nach Kriegsgründen suchten beziehungsweise dieselben kreierten. (...) Dabei ist im Falle Syriens besondere Besonnenheit vonnöten, weil dort der Kampf gegen die Diktatur auch noch von einer religiösen Konfrontation überlagert wird, ja das Land sogar zum Schauplatz eines regionalen und globalen Interessenskonflikts geworden ist."

Der rechtsliberale Mailänder Corriere della Sera geht der Frage nach, wie Damaskus auf die drohende Haltung der USA im Syrien-Konflikt reagieren wird:

"Für den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist klar, dass Barack Obama wie auch die Europäer befürchten, der Brand in seinem Land könnte sich weiter ausbreiten. Wenn es bis heute keine massive Intervention in Syrien gegeben hat, dann genau wegen dieser Furcht vor regionalen Konsequenzen. Nur ist es jetzt so, dass sich das Feuer durch das Abwarten praktisch von selbst ausgedehnt hat. Die tausend politischen, ethnischen und religiösen Fehden haben dabei wie ein natürlicher Brennstoff gewirkt. Damaskus hätte zwar nicht die Mittel, um einer Intervention standzuhalten. Es kann allerdings dank seiner Verbündeten mit Attentaten von Beirut bis Tel Aviv zuschlagen."

Zur Möglichkeit eines militärischen Eingriffs in Syrien schreibt die in Madrid erscheinende linksliberale spanische Zeitung El País:

"Großbritannien und Frankreich machen den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad für den Giftgaseinsatz verantwortlich und plädieren für einen Militärangriff. Russland und der Iran geben der Opposition die Schuld. Alle Augen sind nun auf US-Präsident Barack Obama gerichtet. Sämtliche Optionen sind schlecht. Der Westen hatte mit einer Intervention zu lange gewartet in der Hoffnung, dass das Regime zusammenbrechen würde. (...) Eine militärische Intervention birgt das Risiko, die gesamte Region in Flammen zu setzen. Aber nichts zu tun, würde auch äußerst schlechte Zeichen setzen."

"Obama kann das nicht durchgehen lassen"

Zur internationalen Reaktion auf einen möglichen Giftgasangriff in Syrien schreibt die liberale Wiener Zeitung Der Standard:

"Obama braucht einen Weg, um das Assad-Regime in die Schranken zu weisen, die Glaubwürdigkeit der USA zu bekräftigen und sie dennoch nicht in einen Konflikt hineinzuführen, in dem weder Sieg noch Frieden möglich sind. Doch dieses Zaubermittel kennt niemand. Die einzig gute Nachricht für Obama ist, dass es Russland nicht viel besser geht. Auch Wladimir Putin würde ein bewiesener Giftgaseinsatz durch seine syrischen Klienten ins Dilemma stürzen, denn auch er sieht sich - trotz traditioneller russischer Realpolitik - als Hüter internationaler Regeln. Erstmals könnten sich daher amerikanische und russische Interessen zu Syrien treffen und den Weg für eine Initiative im UN-Sicherheitsrat eröffnen, mit der eine Militäraktion zumindest hinausgezögert werden kann."

US-Präsident Obama stehe durch den mutmaßlichen Giftgaseinsatz unter Zugzwang, meint am Montag die niederländische Zeitung de Volkskrant:

"Bereits im Juni waren die Amerikaner zu der Auffassung gelangt, dass der syrische Diktator 'in kleinem Maßstab' Giftgas eingesetzt habe. Sollte sich nun erweisen, dass er es wieder getan hat, kann Obama das nicht durchgehen lassen. Denn wenn Assad damit durchkommt, kann das auch jeder andere und amerikanische Drohungen mit Repressalien haben keine Wirkung mehr - mit allen möglichen Folgen für die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. So ist Obama durch die Logik der Abschreckung gezwungen, etwas zu tun. Doch er ist nicht nur der Hüter der Abschreckung. Der Präsident ist auch jemand, der eine starke Abneigung gegen neue Kriege hat."

Die katholische französische Zeitung La Croix warnt vor einer Eskalation in Syrien:

"Es gibt für Syrien mehrere militärische Optionen, doch besteht die große Gefahr, dass der Konflikt eskaliert. Eine offene Intervention des Westens in Syrien würde Russlands Interessen widersprechen. Moskau verteidigt seinen syrischen Verbündeten und Wladimir Putin zögert nicht, den Ruf seines Landes als Großmacht in die Waagschale zu werfen. Die Spannung zwischen dem Wunsch, einzugreifen und dem Gebot der Vorsicht verursacht ein Gefühl des Unbehagens."

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