Presseschau:Verschwörerisches zum Verfall der Lira

Schuld an der Krise sei das Ausland, das versuche die Regierung zu stürzen, schreiben viele türkische Zeitungen. Doch es gibt auch andere Stimmen.

Von Luisa Seeling

Als US-Präsident Donald Trump ankündigte, die Strafzölle auf Stahl und Aluminium aus der Türkei zu verdoppeln, mussten sich die meisten türkischen Medien gar nicht erst in Stellung bringen: Sie machen ohnehin seit Monaten Front gegen die USA, haben in Washington den großen Feind ausgemacht, der danach trachte, das Land aus geostrategischem Kalkül zu schwächen. "Die Wechselkurs-Attacke unterscheidet sich nicht von dem Angriff am 15. Juli", giftet die regierungstreue Zeitung Sabah. Sie folgt damit dem auch von offiziellen Stellen verbreiteten Narrativ, Gülen-Bewegung und US-Geheimdienste hätten den Putschversuch 2016 gemeinsam orchestriert.

In dieser Lesart ist der Verfall der Lira nur ein weiterer Versuch, die Regierung in Ankara zu stürzen - eine Darstellung, die von vielen türkischen Medien verbreitet wird. Das Land stehe "unter Wechselkurs-Belagerung", heißt es bei Vatan, Trumps Vorgehen sei eine "Kriegserklärung"; Milliyet verspricht, die Türkei werde allen Angriffen zum Trotz wachsen, und das Krawallblatt Yeni Şafak spricht von "Erpressung" und kündigt großspurig an, die Türkei werde den Wirtschaftskrieg gewinnen. Ein Habertürk-Kolumnist schreibt, hinter der Sanktionskrise stecke die neokonservative Lobby in den USA - sie mache mit den Gülen-Terroristen gemeinsame Sache, um die Türkei aus der Nato zu drängen. Alle vier Zeitungen stehen mehr oder weniger der Regierung nahe.

Die angriffslustige Rhetorik kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass hinter der markigen Selbstbehauptung große Nervosität herrscht. Panik ist das Letzte, was Ankara im Moment gebrauchen kann, weshalb die Regierung auf allen medialen Kanälen Botschaften der Beruhigung verbreitet: Man habe einen Plan, man werde die Märkte beschwichtigen und den Verfall der Lira stoppen. Parallel dazu gehen die Behörden gegen Nutzer in den sozialen Netzwerken vor, die sich in "provozierender" Weise - also pessimistisch - über Währung und Wirtschaft äußern.

Den Regierungskurs zu kritisieren, birgt also gewisse Risiken, was aber nicht heißt, dass es keine kritischen Stimmen gäbe. Er frage sich, schreibt Murat Yetkin, Chefredakteur und Kolumnist der englischsprachigen Hürriyet Daily News, ob Erdoğans Berater den Präsidenten wirklich über alles informierten, "über alle Faktoren mit all ihren Dimensionen, ihren Vorteilen und ihren Nachteilen". Dass im neuen türkischen Regierungssystem alles an einem Mann hänge, sieht Yetkin mit Sorge. Deutlicher formuliert es die oppositionelle Cumhuriyet: Es sei der Mangel an Rechtsstaatlichkeit, der das Land so verwundbar gemacht habe. In die gleiche Kerbe schlägt Murat Aksoy, Kolumnist der Nachrichtenplattform Artı Gerçek, die im Exil produziert wird: Die Regierung habe sich im Ausland für Isolation und im Inland für eine Ein-Mann-Herrschaft entschieden - nun verließen Investoren und junge Talente in Scharen das Land. Niemand, so Aksoy, kämpfe mit der Türkei. Vielmehr kämpfe das Land mit sich selber, auch wenn es das nicht wahrhaben wolle.

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