Presseschau nach Wulff-Rücktritt:"Lebendes Mahnmal für künftige Generationen"

Ein Gernegroß, der Opfer seiner selbst geworden sei: Die Medien gehen mit dem zurückgetretenen Bundespräsidenten hart ins Gericht. Doch nicht nur Journalisten bewerten die Amtsniederlegung - auch Modezar Karl Lagerfeld äußert seine Sicht der Causa Wulff.

"Er hatte nicht die Statur, dieses schwierige, belastete Amt auszufüllen": So knapp resümmiert die Welt den Rücktritt von Christian Wulff. Andere Medien teilen dagegen stärker aus. Ein Blick in die Presse.

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"AUS!" titelt die Bild-Zeitung in großen, weißen Buchstaben auf schwarzem Grund. Chefredakteur Kai Diekmann, auf dessen Mailbox Wulff gesprochen haben soll, kommentiert, der Bundespräsident sei "Opfer seiner selbst geworden".

(Foto: Getty Images)

[] Abendzeitung: "Für Mitleid gibt es keinen Grund, viel eher für Genugtuung, die etwas völlig anderes ist als Schadenfreude. Die Selbstreinigungskräfte dieser Gesellschaft haben funktioniert. Nicht die Medien, nicht die Justiz, nicht die Politik, wir alle zusammen dürfen nicht akzeptieren, wenn sich jemand Vorteile aus seinem Amt genehmigt. Sei er nur Finanzbeamter oder Verfassungsorgan. Die Kontrollmechanismen, und dazu gehört in einer freien Gesellschaft die Presse, haben funktioniert."

[] Die Welt: "Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Öffentlichkeit sieht Christian Wulff als Opfer einer solchen Treibjagd, viele Leser dieser Zeitung haben sich so geäußert und ihren Unmut, ja ihren Zorn dokumentiert. Doch so hart das angesichts des persönlichen Dramas von Christian Wulff auch klingen mag - an seinem Scheitern als Bundespräsident ist vor allem er selbst schuld. Er hatte nicht die Statur, dieses schwierige, belastete Amt auszufüllen. Damit ist das - auch von der Bundeskanzlerin so gewollte - Vorhaben, Schloss Bellevue aus der Honoratiorenecke herauszuholen und dem ersten Haus im Staate ein frisches, modernes, jugendliches Gepräge zu geben, schmählich gescheitert. Leider."

[] Spiegel Online: "Wulff hat es selbst vermasselt. Es bleibt das Bild eines Gernegroß, der zu klein war für das Amt, dem letztlich seine Mittelmäßigkeit zum Verhängnis wurde. Es ist unerheblich, ob er ,stets rechtlich korrekt' gehandelt hat, wie er selbst sagt. Sein Versagen liegt in der Art, wie er mit der endlosen Reihe an kleinen und großen Vorwürfen umgegangen ist."

[] Bild-Chefredakteur Kai Diekmann schreibt: "Ist Christian Wulff Opfer einer ,Medien-Kampagne' geworden? Nein. Ist er nicht. Er ist das Opfer seiner selbst geworden. Es geht nicht darum, ob ein Politiker mit Freunden im Urlaub abends ein Glas Saft trinken darf. Es geht um Anstand, Glaubwürdigkeit - und das Gesetz. Hier haben die Medien getan, was ihre Aufgabe ist: zu prüfen, ob jemand den Ansprüchen genügt, die ein öffentliches Amt an ihn stellt; Fragen zu stellen, auf Antworten zu drängen.

[] Die Tageszeitung: "Schade eigentlich. Was hätte dieser Präsident sein können. Doch in der Politik sind Konjunktive eine schwierige Sache. Es zählen nun mal Fakten. Deshalb ist Christian Wulff schon heute in die Geschichtsbücher eingegangen als ein Politiker, der bis zu seinen letzten Sätzen im Amt nicht begreift, worum es geht. Man ist geneigt, sich in die Hobbypsychologie zu begeben, um Erklärungen dafür zu finden, wie einer mit solch einer Fehlerliste bis zum Schluss behaupten kann, er habe sich korrekt und aufrichtig verhalten. Und bis zum bitteren Ende versuchen kann, den Medien die Schuld in die Schuhe zu schieben. Man fragt sich: Was ist mit seiner politischen Selbstwahrnehmung los?"

[] Aachener Nachrichten: "Als Vorbild taugte er da längst nicht mehr, wohl aber als lebendes Mahnmal für kommende Politikergenerationen: Leute, lasst Euch nicht korrumpieren von Macht, Geld und Glamour. Irgendwann rächt es sich bitter! Das ist die Botschaft des Tages."

[] Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Seine Präsidentschaft verlor sich im Winkeladvokatischen (am Schluss sprach für das deutsche Staatsoberhaupt nur noch ein Anwalt) und in Erklärungen, die nicht nur die Intelligenz der Staatsanwälte beleidigten. Gescheitert ist Wulff letztlich daran, dass er und seine Verteidiger, ob absichtlich oder nicht, Maßstäbe verschieben wollten: was wir dem obersten Repräsentanten des Staates glauben sollen, was sich in der Politik gehört, was der Würde des Amtes angemessen ist."

[] Karl Lagerfeld zeichnet in der FAZ: Auch der Modeschöpfer Karl Lagerfeld hat in den Medien seine Sicht auf Christian Wulffs Rücktritt veröffentlicht - mit einer Zeichnung. "Wolken im Himmel von Berlin" ist das Werk des Modedesigners betitelt, das die FAZ auf Seite 9 ihrer Samstagsausgabe veröffentlicht. Klein und ganz unten auf dem Blatt ist Schloss Bellevue zu sehen, daneben das schemenhaft skizzierte ehemalige Präsidentenpaar. Über allem schwebt eine große dunkle Wolke mit einem männlichen Gesicht, das jedoch nicht eindeutig zu identifizieren ist. Mit etwas Phantasie könnte man dennoch die Gesichtszüge von Joachim Gauck erkennen, der als heißer Kandidat für Wulffs Nachfolge gehandelt wird. Ironisch jedenfalls ist der Kommentar, den Lagerfeld unter das Bild gesetzt hat: "Als Immobilie war Schloß Bellevue zu groß für uns, und wir brauchen Ferien mit Freunden..."

In den ausländischen Medien ist der Rücktritt des deutschen Staatsoberhaupts dagegen nur am Rande ein Thema.

[] Le Monde: Die französische Tageszeitung prophezeit der Bundeskanzlerin eine schwere Suche nach einem Nachfolger. "Merkel hat Wulff auf Händen ins Amt getragen", schreibt die linksliberale Zeitung. Nun müsse sie auch seinen Rücktritt ausbaden. Der Bundespräsident sei über seinen "ungeschickten Umgang" mit den Medien gestolpert. Wulff sollte ein modernes Deutschland repräsentieren und sei gescheitert.

[] The Guardian: Nach Ansicht der britischen Zeitung könnte durch den Rücktritt Wulffs auch das Ansehen von Angela Merkel in Europa Schaden nehmen. Die Kritik Deutschlands an anderen europäischen Staaten für deren mangelnde Führungsfähigkeiten falle nun auf die Kanzlerin zurück.

[] New York Times: Die US-Zeitung ist der Meinung, der Rücktritt von Christian Wulff bringe Kanzlerin Merkel in Verlegenheit, mit Wulff und Horst Köhler habe sie in kurzer Zeit zwei Bundespräsidenten verloren. In Zeiten, in denen Deutschland von anderen Euro-Ländern kritisch beäugt werde, sei der Rücktritt ein Schlag für das Ansehen des Landes.

[] Washington Post: Das US-Blatt schreibt hingegen, der Skandal um Wulff habe bislang noch keine Auswirkungen auf Merkels Popularität gehabt.

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