Süddeutsche Zeitung

Presseschau:"Hitlers Enkel beschuldigen die Türkei, einen Völkermord verübt zu haben"

Die türkische Presse findet deutliche Worte für die Armenien-Resolution des Bundestags.

Von Julia Ley

Die fast einstimmige Entscheidung des Bundestags, die Resolution über den Völkermord an den Armeniern zu verabschieden, hat das ohnehin schon angespannte türkisch-deutsche Verhältnis noch weiter strapaziert. Der türkische Botschafter verließ Berlin noch am selben Nachmittag, türkische Politiker bezeichneten das Ergebnis der Abstimmung als Fehler, Präsident Erdoğan drohte mit ernsten Konsequenzen für die Beziehungen zwischen beiden Ländern.

Nicht weniger drastisch fielen auch die Reaktionen in großen Teilen der türkischen Presse aus. Kaum ein Blatt konnte sich den Verweis auf Deutschlands eigene brutale Vergangenheit verkneifen. Das ist einerseits wenig überraschend: Ein großer Teil der türkischen Presse ist in Händen von Erdoğan-nahen Konzernen. Wer noch kritisch war, ist spätestens nach dem repressiven Vorgehen der türkischen Justiz verstummt.

Ein kleiner Überblick über die Reaktionen:

Sözcü: Besonders weit aus dem Fenster lehnt sich das kemalistische Boulevardblatt Sözcü, das sich in der Vergangenheit lautstark über Zensur durch Erdoğans AKP beschwert hatte. In der Frage nach der türkischen Schuld am Tod von vielen Tausend Armeniern ist die Zeitung jedoch streng auf Regierungslinie: Angela Merkels Konterfei ziert die Titelseite, mit Hitlerbärtchen, umringt von Hakenkreuzen. Über dem Bild steht in großen Lettern, auf Deutsch: "Schämen Sie sich!"

Unmissverständlich sind auch die Schlagzeilen, die den Titel flankieren: "Hitlers Enkel beschuldigen die Türkei, einen Völkermord verübt zu haben." Und: "Deutschland, das im Zweiten Weltkrieg einen Völkermord verübte, sechs Millionen Juden tötete und nun mit den Waffen, die es der PKK gibt, der Grund dafür ist, dass unsere Kinder getötet werden, bestätigt den sogenannten Genozid an den Armeniern."

Zaman: Auch die größte türkische Tageszeitung, die konservative Zaman, tut sich schwer, ohne den Verweis auf Deutschlands Vergangenheit auszukommen. Sie macht mit der Überschrift "Die Genozidentscheidung von Hitlers Enkeln" auf und bezeichnet die Resolution als "Skandalentscheidung". Der Ton ist damit gesetzt: "Deutschland, das im Ersten Weltkrieg ein Verbündeter des Osmanischen Reiches war, hat die Lügen über die Ereignisse des Jahres 1915 in Gesetzesform gegossen. Seine eigene Geschichte von Konzentrationslagern, barbarischen Hinrichtungen und Gaskammern vergessend, akzeptierte der Deutsche Bundestag das Konzept eines angeblichen 'Völkermords'."

Akşam: Von Selbstzweifel oder Zurückhaltung auch bei Akşam ("Der Abend") keine Spur. Ebenfalls auf Deutsch titelt das Boulevardblatt "Dummkopf". Und fährt fort: "Die Deutschen, die die Welt mit dem Begriff Völkermord bekanntgemacht haben, haben zu einem idiotischen Gesetz 'ja' gesagt, das die türkische Geschichte angreift."

Star: Ebenso boulevardesk, ebenso dramatisch präsentiert sich das Titelblatt der Tageszeitung Star: Auch sie zeigt Merkel - allerdings ohne Hitlerbärtchen. Dafür ist ihr Name so geschickt auf ihrer Oberlippe platziert, dass kein Zweifel daran bleibt, dass der Schriftzug genau das symbolisieren soll. Unter dem großen Porträt steht die Titelzeile "Alles für die PKK" (vermutlich, weil die Resolution all jenen in die Hände spielt, die die Überlegenheit des türkischen Staates infrage stellen). Rundherum arbeiten sich die Redakteure an all jenen ab, die ihrer Meinung nach auf der falschen Seite der Geschichte stehen.

Ganz vorne mit dabei: Der "angebliche" Türke Cem Özdemir. Jener Mann, der "Armenier und PKK liebt" und die Armenien-Resolution "vorbereitet hat". Insgesamt scheint man das Abstimmungsergebnis als eine Art Verschwörung gegen die Türkei zu interpretieren: "Die Feinde der Türkei freuen sich" steht da, Fotos sollen belegen, dass eine "Allianz aus Griechen, Armeniern und PKK-Anhängern" vor dem Bundestag Fahnen geschwenkt und Luftschlangen geworfen hat.

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