Presseschau:Fußball-Nationen und die Fifa

Presseschau: Der suspendierte Fifa-Chef Joseph Blatter erfährt in internationalen Medien wenig Mitleid.

Der suspendierte Fifa-Chef Joseph Blatter erfährt in internationalen Medien wenig Mitleid.

(Foto: Fabrice Coffrini/AFP)

Was Zeitungen in den großen Ländern des Fußballs über den Fifa-Skandal schreiben.

Von SZ-Korrespondenten

Der Fifa-Skandal beschäftigt die großen Fußball-Nationen. Mit dem suspendierten Joseph Blatter hat niemand Mitleid, bei Michel Platini sieht das anders aus. SZ-Korrespondenten aus Italien, Frankreich, Spanien, England und Brasilien haben zusammengetragen, wie Zeitungen dort die jüngsten Personalien kommentieren.

In Italien, wo der Fußball, der geliebte Calcio, schon so viele hausgemachte Skandale erlebt hat, schwingt auch Wehmut in den Kommentaren - wegen des Schicksals von "Le Roi", dem König. So nannten sie Michel Platini, als der Franzose von 1982 bis 1987 das Spiel von Juventus Turin dirigierte, es waren die besten Jahre seiner Karriere. Nun schreibt der Corriere della Sera: "Blatter ist ein Kaufmann des Fußballs, Platini dagegen ist eine Referenz dieses Sports, für seine Leistungen auf dem Rasen. Wenn einer so wunderbar spielen kann und es so viele Jahre tat, dann umweht ihn einen Hauch von Immunität." Blatter habe Platini gezielt mit in die Tiefe gerissen: "Im Vergleich mit dem Zürcher Intrigenspiel ist Macbeth ein Bildungs- roman fürs Schweizer Mädchenpensionat. Mit einem stabilen Paket von Wählerstimmen im Rücken kann der König der Fifa jetzt seinen Kandidaten Tokyo Sexwale auf den begehrtesten und einflussreichsten Thron der Sportwelt hieven. Blatter würde es vermutlich auch noch aus dem Hochsicherheitstrakt eines amerikanischen Gefängnisses schaffen, Regie über seine eigene Nachfolge zu führen." Ähnlich kommentiert es Roms Repubblica: "Zwei Millionen tiefschwarze Schweizer Franken müssten reichen, damit der Patriarch sich seines Ziehsohns entledigen kann. Noch auf dem Totenbett hat der alte General Blatter den Sonnenkönig Platini besiegt."

Die Sport-Tageszeitung Corriere dello Sport wittert gar eine deutsche Verschwörung: "Wer steht wohl hinter diesem sorgfältig inszenierten Skandal? Was haben der Vorsitzende der Ethik-Kommission, Hans-Joachim Eckert, der sich plötzlich vom Saulus zum Paulus wandelte, der IOC-Präsident Thomas Bach und UN-Sport-Sonderberater Willi Lemke gemeinsam? Alle drei sind Deutsche. Genau wie Wolfgang Niersbach, der Präsident des Fußballverbandes von Frau Merkel, der schon vor Monaten beim Champions-League-Finale in Berlin als Blatter-Nachfolger gehandelt wurde."

Frankreichs Fußballfans und Zeitungen sind ähnlich schockiert wie die des Nachbarlandes über den Abgang von Platini. Der Nationalheld, dreimaliger Gewinner des "Ballon d'Or", den sie liebevoll Platoche" rufen - ist er am Ende nur ein korrupter Zögling des Schweizer Fifa-Paten? Die meisten Kommentatoren sehen Platini eher als Opfer denn als Täter. Blatter, der finstere Strippenzieher, habe seinen früheren Freund und jetzigen Konkurrenten "mit Geschick und bestem Sinn fürs richtige Timing auf die Schlachtbank geführt", schreibt die linke Libération. Der Fifa-Boss allein kontrolliere jene Ethik-Kommission, die beide Ball-Funktionäre nun für 90 Tage aus dem Spiel nahm. Dabei existiere "nicht der geringste Beweis" gegen Platini, wettert La Presse de la Manche aus der Normandie. Blatter, so glaubt auch der rechte Figaro, habe "seinem alten Verbündeten den Todeskuss gegeben". L'Équipe verbreitet dieselbe Ansicht auf seiner Titelseite. Auf einem Foto ist da zu sehen, wie der alte Fuchs zart seine Hand auf Platinis Rücken legt. "Tombe avec moi" heißt die Titelzeile, die das Sportblatt der Nation Blatter in den Mund legt, "Stürze mit mir". Aus der Reihe tanzt allein der Parisien. Platini müsse abtreten, so Frankreichs seriöser Boulevard, er habe nun mal 1,8 Millionen Euro von Blatter angenommen - "schlimmstenfalls aus Habgier, bestenfalls aus Dummheit".

Die Spanier beschäftigte am Tag nach der Götterdämmerung der Fall eines aktiven Halbgottes des Fußballs noch mehr als der Blatters und Platinis: Geht es nach dem spanischen Finanzamt, muss Lionel Messi wegen Steuerbetrugs für 22 Monate ins Gefängnis. So weit wird es wohl nie kommen. Doch die Forderung verdrängte in einigen Blättern die Fifa in die hinteren Gefilde. Marca etwa, die Sportzeitung aus Madrid, berichtet erst auf Seite 60 über das "Purgatorium" beim Weltverband. El País schreibt in einem Leitartikel, für einen Neuanfang müssten nun alle bisherigen Spitzenleute die Fifa verlassen. Mitgemeint war da Ángel María Villar, der mächtige und ungeliebte Präsident des spanischen Verbands, Vizepräsident der Fifa und Erster Vizepräsident der Uefa. Seine Loyalität zu Blatter und Platini könnte ihm nun zum Verhängnis werden.El Mundo sieht seine Chancen dennoch intakt. Villar sei einer von wenigen Schwergewichten des Fußball, den keine Korruptionsklage belaste - "por el momento", also momentan.

Das beherrschende Thema auf den Sportseiten der britischen Presse war die Verpflichtung von Jürgen Klopp als Trainer des FC Liverpool, doch die seriöse Presse widmete sich auch dem Fifa-Skandal ausführlich. Britische Medien stehen der Fifa seit Langem äußerst skeptisch gegenüber, insbesondere die investigativen Reporter der Sunday Times haben wiederholt über die Korruption im Verband berichtet. Nach den aktuellen Vorfällen befindet der Guardian: "Die Fifa ist in der Welt des Sports nun das Pendant zu einem gescheiterten Staat. Sie ist eine Organisation, die so eigennützig ist, dass sie jeden Begriff davon verloren hat, wie die wirkliche Welt sie sieht. Ihre Funktionäre bewohnen ein Parallel-Universum." Der Daily Telegraph sieht es ähnlich: "Die Fifa hat aufgehört, in einem moralischen oder bürokratischen Sinne zu existieren. Sie muss wie eine korrupte Bank von der Schweizer Regierung übernommen werden." Die Times urteilt: "Für Mr. Blatter ist dies definitiv das Ende." Und das Boulevardblatt The Sun sieht es so: "Die Marke Fifa ist so faul, dass die ganze Organisation verboten werden sollte."

In Brasilien hingegen muss man schon einiges aufbieten, um es als korrupter Funktionär über die Aufmerksamkeitsschwelle zu schaffen. Die Titelseiten der Zeitungen sind hier Tag für Tag eine Collage der Protagonisten unterschiedlichster Betrugsformen. Da ist auch Joseph Blatter nur ein Schlingel unter vielen. Die beiden größten Tageszeitungen Folha de São Paulo und O Globo versteckten den Fifa-Skandal zuletzt im hinteren Teil ihrer Sportseiten. Folha erklärt auch warum: "Dass der Fußball korrupt ist, kann nur Leute überraschen, die sich nicht mit Sport auskennen." Im Übrigen hat Brasilien auch im Fußballkorruptionswesen seine eigenen Titelhelden. Verbandspräsident Marco Polo del Nero hat seit Mai das Land nicht mehr verlassen, seit sein Vorgänger José Maria Marin beim Fifa-Kongress in Zürich verhaftet wurde. Del Nero reist auch nicht mehr zu Auswärtsspielen der Seleção, alle großen Blätter sind sich einig, dass es dabei weniger um die CO₂-Bilanz des Verbandes als um die berechtigte Angst seines Präsidenten vor Interpol geht. Folha fasst es so zusammen: "Das Land des Fußballs ist korrupt" - gemeint ist Brasilien - "Sein Fußball muss es deshalb auch sein."

Texte: Boris Herrmann, Oliver Meiler, Birgit Schönau, Christian Wernicke, Christian Zaschke

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