Presseschau:Düstere Warnzeichen für Österreich und Deutschland

The Leopoldine Wing of Hofburg palace hosting the presidential office is seen in Vienna

Erstmals in der Geschichte der FPÖ könnte einer ihrer Kandidaten in die Wiener Hofburg einziehen. Der Leopoldinische Trakt der Residenz ist der Sitz des Bundespräsidenten.

(Foto: REUTERS)

In den Kommentaren nach dem ersten Wahlgang bei der Bundespräsidentenwahl in Österreich ist von einem "Denkzettel" die Rede und vom Ende der Volksparteien. Die Presseschau.

Österreichs Rechtspopulisten von der FPÖ können das Wahlergebnis vom Sonntag als vollen Erfolg für sich verbuchen: Ihr Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten erzielte 36,4 Prozent der Stimmen. Auf Platz zwei hinter Norbert Hofer rangiert weit abgeschlagen der Grüne Alexander Van der Bellen mit 20,4 Prozent, gefolgt von Irmgard Griss mit 18,5 Prozent. Rudolf Hundstorfer (SPÖ) und Andreas Khol (ÖVP), die Kandidaten der Regierungsparteien, kamen zusammen auf nicht einmal ein Viertel der Stimmen. Österreichische Zeitungen werten dieses schlechte Abschneiden als klare Absage an die Regierungsarbeit der großen Koalition, aber auch als Chance. Deutsche Zeitungen ziehen düstere Parallelen zu Deutschland.

Der als linksliberal geltende Wiener "Standard" hat nach dem Wahldebakel noch Hoffnung für die Regierungsparteien:

"SPÖ und ÖVP könnten das Votum über die Stichwahl hinaus auch als Chance sehen: Wir reißen uns jetzt am Riemen und versuchen, gemeinsam etwas zu schaffen. Denn sonst werden beide Parteien das Schicksal ihrer Kandidaten erleiden. Aus einstigen Volksparteien werden Kleinparteien. Noch haben sie die Möglichkeit, bis 2018 durch ihre Arbeit zu überzeugen. (...) Also bleibt nur: Kämpfen oder aufgeben - und die Hofburg und bald auch die Regierung einfach der FPÖ überlassen."

Die als bürgerlich-liberal geltende Wiener "Presse" wertet das Ergebnis ganz anders als der "Standard". Der "Presse"-Kommentator meint die Glocken zu hören, die das Ende einer Ära einläuten:

"Die Wahrheit für SPÖ und ÖVP lautet schlicht: Eure Zeit ist vorbei. Das heißt nicht, dass es eine oder beide Parteien in Zukunft nicht geben kann. Aber so, wie es bisher war, wird es nie wieder, (...) die Zweite Republik [ist] - so wie wir sie als Kinder schätzen gelernt haben und wie wir sie heute als überholt empfinden - Geschichte. Es wird noch Zeit vergehen, bis das Ende auch auf Bundesebene offiziell vollzogen wird, aber heute hat wohl der letzte Funktionär, der klügste Sektionschef und der Faymann-freundlichste Journalist verstanden, dass da ein Kapitel zu Ende gegangen ist. Zusammen kommen SPÖ und ÖVP auf gerade einmal ein Viertel aller Stimmen."

Im Nachbarland Schweiz schreibt die "Neue Zürcher Zeitung":

"Die nächsten Nationalratswahlen mögen noch zwei Jahre entfernt sein, doch angesichts der Unfähigkeit der Regierung, die drängenden Probleme bei der Arbeitslosigkeit, dem Wirtschaftswachstum und der Bildung zu lösen, wird die Unzufriedenheit nur zunehmen; am Sonntag gaben drei Viertel der Wahlberechtigten an, entweder enttäuscht oder gar verärgert zu sein über die Regierung."

Allerdings entdeckt die Schweizer Zeitung für die Wut der Österreicher noch einen zweites Ventil neben der breiten Unterstützung für die FPÖ:

"Auch kristallisierte sich die Wut der Österreicher nicht nur in Form von Unterstützung für die FPÖ. Vielmehr vereinigten die beiden gemäßigten Kandidaten Alexander Van der Bellen und Irmgard Griss vierzig Prozent der Stimmen auf sich. Beide traten eher spröde sowie dezidiert unpopulistisch auf und argumentierten differenziert. Dies spricht für die Reife der Wähler, die einen Wandel wollen, jedoch nicht dem Reiz von Scheinlösungen erliegen. Die Regierung sollte das Fiasko als Auftrag verstehen, eine ehrlichere und lösungsorientierte Politik zu verfolgen."

"Das politische System zerbröselt"

Der Berliner "Tagesspiegel" hat wenig Hoffnung, dass sich am 22. Mai ein gemäßigter Kandidat durchsetzt:

"Die Stärke der früheren Haider-Partei zwingt die Traditionsparteien SPÖ und ÖVP in eine gefühlt ewige große Koalition. Es ist ein Teufelskreis, von dem allein die FPÖ profitiert. Sie kann sich als frische Alternative inszenieren, obwohl sie längst selbst ein Teil des politischen Systems geworden ist. Das enorm hohe Ergebnis der FPÖ in der ersten Runde der Präsidentschaftswahl passt in diese Logik. Mit vereinten Kräften werden SPÖ und ÖVP einen Sieg des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer in der Stichwahl nun zu verhindern suchen - was auch zum genauen Gegenteil führen kann."

Die deutsche Ausgabe der "Huffington Post" sieht ein historisches Ereignis - und Lehren, die Angela Merkel aus der Wahl im Nachbarland ziehen kann:

"Nach dem Wahlgang ist klar, dass zum ersten Mal nach dem Zweiten Weltkrieg keine der beiden Volksparteien SPÖ und ÖVP den Bundespräsidenten stellen oder unterstützen wird. Dieses Debakel lässt sich nicht mehr nur alleine durch die Flüchtlingspolitik erklären. (...) Von diesen Verhältnissen ist Deutschland noch weit entfernt. Lernen kann die Bundesregierung daraus aber schon: nämlich, dass die Flüchtlingskrise zu einer Vertrauenskrise werden kann - und dass davon nicht nur die Rechten profitieren, sondern alle Parteien, auf denen nicht das Etikett Volkspartei klebt."

Die sozialistische Zeitung "Neues Deutschland" wertet den Triumph Hofers als "Denkzettel" für die Volksparteien:

"Der gefürchtete klare Sieger der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl in Österreich ist die rechtspopulistische Freiheitliche Partei (FPÖ) (...), so klar haben die bisherigen Volksparteien SPÖ und ÖVP noch nie gegen die Blauen verloren. (...) Die Taktik, sich von der FPÖ beim aktuell bedeutendsten Thema, dem Umgang mit Flüchtlingen und Migranten, vor sich hertreiben zu lassen, ging nicht auf.

Viele Wähler entschieden sich lieber für das Original der Fremdenfeinde und Abschottungsfetischisten oder wollten mit ihrem Kreuz für Hofer den Arrivierten einen Denkzettel verpassen."

Die "Neue Ruhr Zeitung" aus Essen fürchtet, dass die ausländerfeindliche FPÖ nach dem Erfolg bei der erste Runde der Bundespräsidentenwahl demnächst auch die Bundesregierung stellen könnte:

"Noch hat die Stichwahl um die österreichische Bundespräsidentschaft nicht stattgefunden. Doch nach dem politischen Donnerschlag von gestern, mag man kaum hoffen, dass sich in den verbleibenden vier Wochen die Grundstimmung im Nachbarland noch ändert. Das war mehr als eine Protestwahl. Der haushohe Sieg des FPÖ-Mannes Hofer im ersten Wahlgang ist nicht nur ein Rechtsruck, er könnte auch das Eingangstor für eine künftig von ausländerfeindlichen Rechtspopulisten geführte Bundesregierung sein. (...) Es kann einem Bange werden um Österreich."

"Die Zeit" sieht, dass das "politische System zerbröselt":

"Was eine reine Persönlichkeitswahl sein sollte, entwickelte sich so zu einer wütenden Abrechnung mit den beiden politischen Lagern, die das Geschehen in Österreich stets dominiert hatten.

Sozialdemokraten und die konservative Volkspartei haben, obwohl ihre Unterstützung seit Jahren immer mehr erodierte, die gesamte Macht und alle Posten, die im Einflussbereich des Staates stehen, fein säuberlich untereinander aufgeteilt."

Ein drohendes Warnzeichen für Merkel sieht die Tageszeitung "Welt" im FPÖ-Triumph:

"Wer sich in Deutschland immer noch verwundert die Augen reibt, warum Österreichs Sozial- und Christdemokraten so ganz anders als ihre deutschen Kollegen ihre Grenzen gegen Migranten und Flüchtlinge dichtmachten und de facto eine Obergrenze für Zuwanderung festlegten, der kennt jetzt den Grund: Eine Partei kann mit Wahlkampf gegen islamische Zuwanderung und Sicherung des Wohlfahrtsstaates für Einheimische einen Erdrutschsieg herbeiführen.

Wer immer gegen Hofer antritt, müsste schon ein Wunder schaffen und das politische Spektrum einmütig hinter sich sammeln. Sonst bekäme Österreichs Zweite Republik erstmals einen Präsidenten von rechts außen. Die Aussicht allein bedeutet ein Menetekel für jede europäische Willkommenspolitik westlich von Wien."

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