Presseplätze für NSU-Prozess:50 aus 324 - Glücksspiel am Gericht

Presseplätze NSU-Prozess

In diesen gut bewachten Boxen warteten die zahlreichen Bewerbungen, unterteilt nach den drei Gruppen Nachrichtenagenturen, fremdspachige und deutsche Medien, auf die Verlosung.

(Foto: AFP)

Das Los hat über die Presseplätze im NSU-Verfahren entschieden - und es macht keinen Unterschied zwischen großen und kleinen, politischen und Unterhaltungsmedien. Viele überregionale Medien gehen dabei leer aus. Eine Umkehr der Verhältnisse. Mehrere überregionale Zeitungen prüfen nun eine Klage.

Von Annette Ramelsberger

Nun sind auch türkische Medien dabei, wenn von Montag an gegen die Angeklagten im Prozess gegen den rechtsextremen Nationalsozialistischen Untergrund NSU verhandelt wird. Die türkischen Zeitungen Hürriyet, Evrensel und Sabah werden von dem historischen Prozess berichten.

Allerdings haben nun viele große deutsche Zeitungen wie die Süddeutsche Zeitung und die Frankfurter Allgemeine Zeitung keinen garantierten Zugang zum Gerichtssaal. Auch die Nürnberger Nachrichten, in deren Stadt das NSU-Trio allein drei Morde verübt haben soll, bekommen keinen Platz. Sie alle hatten bei der Auslosung der 50 Presseplätze kein Glück.

So kommt es nun zur Umkehr der Verhältnisse: Im ersten Akkreditierungsverfahren für den Prozess war kein einziges türkisches Medium zum Zug gekommen, obwohl acht der zehn Todesopfer des NSU türkische Wurzeln hatten. Daraufhin hatte die Zeitung Sabah vor dem Bundesverfassungsgericht eine Änderung der Akkreditierung erkämpft. Nun aber werden viele deutsche Journalisten auf Informationen ihrer türkischen Kollegen aus dem Gerichtssaal in München angewiesen sein, obwohl die Taten in ihren Städten begangen wurden.

Brigitte, hallo-muenchen.de, "Radio Lotte"

Das Los machte keinen Unterschied zwischen großen und kleinen, politischen und Unterhaltungsmedien. So darf die Frauenzeitschrift Brigitte aus dem Gerichtssaal berichten und das Online-Portal hallo-muenchen.de. Auch lokale Radiosender wie "Radio Lotte" aus Weimar oder die Münchner Lokalsender "Radio Charivari" und "Radio Lora" haben einen garantierten Platz. Dagegen sind überregionale Blätter wie Welt, Frankfurter Rundschau oder auch der Berliner Tagesspiegel nicht dabei. Es haben jedoch einige Tageszeitungen aus Thüringen, wo die Mitglieder des NSU aufwuchsen und lebten, einen Platz.

Der Präsident des Oberlandesgerichts, Karl Huber, nannte das Ergebnis ein "angemessenes, gerechtes und allgemein anerkanntes Verfahren". Natürlich seien nun einige Medienvertreter enttäuscht, aber nach ein paar Wochen würden sich die Reihen im Gerichtssaal lichten und mehr Interessierte Platz finden.

Huber verwahrte sich vor allem gegen Kritik an der Öffentlichkeitsstrategie des Gerichts im NSU-Verfahren: "Die Öffentlichkeit betrifft nicht den Kern des Verfahrens", sagte er, das Oberlandesgericht sei in der Geschichte der Bundesrepublik "Angriffen ohne Beispiel" ausgesetzt gewesen. Kritiker, die ohne profundes Wissen das Gericht tadelten, hätten die Aufgabe des Gerichts "nicht verstanden", erklärte Huber. "Ich stelle mich vor mein Gericht und dafür bitte ich um Verständnis", sagte Huber.

"Wie sagte schon Boris Becker: Drin ist drin."

Im ersten Akkreditierungsverfahren habe der Blick noch nicht so sehr auf den türkischen Medien gelegen. In der Rückschau hätte man vielleicht das Verfahren anders machen können. Nun hoffe er, dass endlich der eigentliche Prozess beginnen könne und die Hauptverhandlung nicht erneut durch Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht verzögert werde. Der Prozess soll nun am 6. Mai beginnen. Allerdings erwägen einzelne Medien, die im ersten Verfahren einen Platz ergattert hatten und nun rausfielen - etwa die Welt -, juristische Schritte.

Offensichtlich hat das Gericht erhebliche Sorgen wegen der Sicherheit im Saal. Es gebe mittlerweile 80 Nebenkläger, eine Dimension, die einmalig ist in der Bundesrepublik, sagte Huber. 350 Rechtsextremisten seien in Deutschland untergetaucht, und Sprengstoff sei auf dem Markt verfügbar. "Welches Fanal wollen Rechtsextremisten setzen? Ich will hier nichts herbeireden, aber wir werden vorbereitet sein."

324 Zeitungen, Agenturen, Radiosender und Fernsehanstalten mit mehr als 900 Journalisten hatten sich darum beworben, einen der raren Plätze im Gerichtssaal zu erhalten. Im ersten Durchgang waren es noch 129 Medien gewesen. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hatte dem OLG München freigestellt, einfach drei zusätzliche Stühle für türkische Medien in den Saal zu stellen. Doch das Gericht ordnete eine völlig neue Platzvergabe an - diesmal sollte nicht die Schnelligkeit der Anmeldung entscheiden, sondern das Los. Ein Münchner Notar hatte die Lose gezogen, der frühere Münchner Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel war als Zeuge dabei - ein Mann, der über jeden Zweifel erhaben ist.

"Wir sind überglücklich."

Sabah-Korrespondent Rahmi Turan jubelte, als der Name seiner Zeitung genannt wurde. "Wir sind überglücklich. Wir haben gekämpft und wir haben gewonnen. Wie sagte schon Boris Becker: Drin ist drin. Wir werden jetzt mit großer Sorgfalt berichten."

Dagegen erklärte Vural Ünlü, Koordinator des türkischen Senders TRT, die Kriterien des Gerichts seien seiner Logik nicht zugänglich. "Aber wir werden nicht noch mal klagen, das würde keiner mehr verstehen." Allerdings wundere er sich über die mangelnde Sorgfalt des Gerichts, die sich durch das ganze Zulassungsverfahren ziehe. Das Gericht hatte den arabischen Sender al-Dschasira als türkisches Medium angesehen und akkreditiert.

Kritik regte sich auch daran, dass das Gericht für die mehr als 300 Zeitungen in Deutschland nur acht Plätze reserviert hatte. Dietmar Wolff, Hauptgeschäftsführer des Verbands Deutscher Zeitungsverleger, sagte: "Gerade Gerichtsverfahren müssen einer großen Kontrolldichte unterliegen, das gilt insbesondere in einem Fall wie diesem, der im In- und Ausland auf hohes öffentliches Interesse stößt. Es darf deshalb nicht Schule machen, dass die Berichterstattung über ein solches Verfahren zum Glücksspiel wird. Wenn künftig die Behinderung der Presse bei Gerichtsverfahren im Ausland kritisiert wird, müssen wir in Deutschland erst einmal vor der eigenen Türe kehren."

taz-Chefredakteurin Ines Pohl schrieb im Kurznachrichtendienst Twitter umgehend, man prüfe, ob man gegen die Platzvergabe klage, um eine Videoübertragung für Journalisten zu erwirken. Auch die FAZ prüft rechtliche Schritte. Von der Welt hieß es: "Wir erwägen eine juristische Klärung." Der stellvertretende Chefredakteur der Zeit, Bernd Ulrich, sagte: "Mit dieser Regelung hat das Gericht glücklicherweise viele türkische Leser hinzu gewonnen, aber Millionen deutsche Leser ausgesperrt." Die Ombudsfrau der Bundesregierung für die Opfer des NSU-Terrors, Barbara John, warnte vor neuen Klagen in Karlsruhe. "Der Prozessauftakt darf nicht erneut verschoben werden. Das würde das Vertrauen der Opferangehörigen in den deutschen Rechtsstaat endgültig zerstören", sagte sie den Kieler Nachrichten.

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