Pressefreiheit in der Türkei:"Ich wurde massiv angefeindet"

Hasnain Kazim

Hasnain Niels Kazim, geboren 1974 in Oldenburg, berichtet seit 2013 für Spiegel und Spiegel Online aus Istanbul. Zuvor war er Südasienkorrespondent mit Sitz im pakistanischen Islamabad.

(Foto: dpa)

Der "Spiegel"-Korrespondent Hasnain Kazim hat die Türkei verlassen. Ein Gespräch über den aktuellen Prozess gegen zwei Journalisten, Bedrohung, Erdoğan und wann sich der Wind drehte.

Interview von Lars Langenau

Hasnain Kazim ist Korrespondent des Spiegel und von Spiegel Online in Istanbul, besser: er war es bis vorvergangene Woche. Weil er von den türkischen Behörden keine Verlängerung seiner Presse-Akkreditierung bekommt, musste er die Türkei verlassen. Jetzt ist er in Wien und wird von dort zunächst weiter über die Türkei berichten.

Karfreitag begann in Istanbul der Prozess gegen den Chefredakteur und einen Redakteur der Zeitung Cumhuriyet. Was wird den beiden vorgeworfen?

Man hält ihnen Spionage, die Preisgabe von Staatsgeheimnissen, die Vorbereitung eines Staatsstreichs und die Beihilfe zur Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. Schwere Vorwürfe also, die im Falle einer Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe führen können.

Wie beurteilen Sie das?

Handelte es sich bei der Türkei um einen demokratischen Rechtsstaat, würde ich sagen: Lassen Sie uns den Gerichtsprozess abwarten, lassen Sie uns sehen, was die Verhandlung ans Tageslicht bringt, und dann kann man sich auf das Urteil der Richter verlassen. In der Türkei sind aber unabhängige Staatsanwälte und Richter strafversetzt oder entlassen worden, wenn sie Urteile fällten, die den Mächten nicht passten. Als das Verfassungsgericht die Untersuchungshaft für die beiden Journalisten bemängelte und sie daraufhin freikamen, sagte Präsident Erdoğan, er erkenne diese Entscheidung nicht an, sie sei gegen die türkische Nation. Sollte das Gericht noch einmal ein derartiges Urteil fällen, werde das Konsequenzen haben. Man sieht also: Die Justiz ist kaum unabhängig. Und wenn man sich anschaut, wie in der Türkei mit Journalisten vorgegangen wird, nämlich dass all jene, die kritisch über die Regierung und den Präsidenten berichten, unter Druck gesetzt, entlassen oder gar ins Gefängnis geworfen werden, halte ich die Vorwürfe gegen die Cumhuriyet-Kollegen für absurd. Ich befürchte, das sind konstruierte Anschuldigungen, um kritische Journalisten mundtot zu machen.

Warum haben Sie selbst vor zwei Wochen die Türkei verlassen?

Wir hatten harte Wochen hinter uns. Hatten gewartet und gehofft, aber es war seit Monaten unklar, ob ich meine Presseakkreditierung bekomme. Weil ich die Verlängerung beantragt hatte, hätte ich, rein rechtlich gesehen, bis Ende des Jahres bleiben können. Aber ich hätte nur einmal aus- und wieder einreisen dürfen. De facto wäre ich in der Türkei gefangen gewesen. Ich bin also nicht offiziell rausgeworfen worden, aber mir ist meine Arbeitserlaubnis nicht ausgestellt worden. Irgendwann war mir klar ich, dass wenn sie einer nicht bekommt, ich das sein würde.

Warum?

Ich habe den Eindruck, dass der Regierung schlicht meine Berichterstattung nicht passt. Und auch die des Spiegel nicht. Vor allem seit dem Titel zu den Protesten im Gezi-Park im Mai 2013 mit der Schlagzeile 'Beugt Euch nicht', an dem ich übrigens nicht mitgeschrieben habe, da ich damals noch in Islamabad, Pakistan, lebte. Und dann gab es noch die Soma-Geschichte im Mai 2014 ...

Da hatten Sie in einem Artikel über ein Grubenunglück in der Stadt Soma einen Bergarbeiter zitiert ...

... mit den Worten "Erdoğan, scher dich zum Teufel". Spiegel Online hatte das Zitat zur Überschrift gemacht und seither wurde es mir in den Mund gelegt. Man behauptete, ich wäre ein Feind des türkischen Präsidenten. Das stimmt natürlich nicht und ist absurd. Aber es blieb bei vielen Türken haften, ich wurde massiv angefeindet und bekam Morddrohungen.

Damals sind Sie schon einmal ausgereist, was fürchteten Sie diesmal?

Ich bin von türkischen und deutschen Quellen gewarnt worden, dass ich wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Organisationen und Präsidentenbeleidigungen angeklagt werden könnte. Viele türkische Kollegen sind davon ja inzwischen betroffen, und es hat auch schon eine niederländische Journalistin getroffen. In dem Fall wäre ich mit einer Reisesperre belegt worden. Ich hätte nicht ausreisen, aber auch nicht schreiben dürfen. Es war eine sehr belastende Situation für mich und meine Familie. Bis ich im Flugzeug saß, wusste ich nicht, ob wir ausreisen durften. Deshalb hat uns auch ein Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats zum Flughafen begleitet.

Gab es weitere aktuelle Auseinandersetzungen?

Ich war in den vergangenen Wochen viel im Osten der Türkei unterwegs, und habe da natürlich auch mit der PKK gesprochen. Ich hatte auch mehrfach Vertreter der türkischen Armee angefragt, aber die wollten nicht mit Journalisten reden.

Wann drehte sich der Wind in der Türkei?

Wann hat sich der Wind in der Türkei gedreht?

Viele Türken sagen, dass es auch vor der Niederschlagung der Gezi-Proteste schon autoritär zuging, nur habe das die Welt bis dahin nicht wahrgenommen. Doch spätestens seit diesen Protesten ist klar geworden, dass Widerspruch nicht geduldet wird. Ich selbst habe es im Frühjahr 2014 zu spüren bekommen, als ich kritisch berichtet hatte und umgehend als Feind wahrgenommen wurde.

Inzwischen gibt es auch etwa 2000 Verfahren wegen Präsidentenbeleidigung ...

... darunter sind Journalisten, Blogger, aber auch ganz einfache Bürger, die sich mal kritisch auf Facebook oder Twitter geäußert haben. Völlig abwegig, welche Strafen es da mittlerweile gibt. Mich wundert bei Erdoğan wirklich, warum er nicht gelassen bleibt. Er ist in vielen Bereichen erfolgreich und hat ohne Frage seine Verdienste. Er könnte viel souveräner auftreten. Das scheint eine Frage seiner Persönlichkeit zu sein, und das ist vielleicht auch das Problem.

Dabei haben die Funktionäre der AKP doch selbst Erfahrung mit Verfolgung. Wann hat sich die Partei von Erdoğ​an so geändert?

Noch vor zehn Jahren haben alle Medien sehr wohlwollend über die Entwicklung in der Türkei berichtet. Vor fünf, sechs Jahren änderte sich das dann aber, weil die autoritären Züge immer deutlicher wurden. Nach einer Wahl übrigens, bei der die AKP abermals ihre Ergebnisse in die Höhe schrauben konnte. Und da haben die wohl gedacht, jetzt alles machen zu können. Es gibt zwar nach wie vor liberale Enklaven in Istanbul, Ankara, Izmir und an der Westküste. Insgesamt wird es aber zunehmend schwieriger in der Türkei.

Aber warum?

Es ist eine grundsätzliche Haltung mit der Aussage: So, jetzt zeigen wir es dem Westen mal. Aber es ist auch eine Mischung aus vielen Faktoren. Auch mein Abschied jetzt wird bestimmt von vielen positiv aufgenommen, da mir nun nach dieser Sichtweise der Präsident endlich gezeigt hat, wo der Hammer hängt.

Braucht die Türkei eine effektivere Opposition?

Ja, aber die ist gerade planlos, chaotisch, zerstritten, hat keine wirklich charismatischen Führungskräfte. Die prokurdische HDP war ein Hoffnungsträger, ist aber leider in die Falle der PKK getappt, die das Land mit Terror überzogen hat. Sie hat sich nach meiner Ansicht nicht deutlich genug von diesem Terror distanziert. Daraufhin gab es die Entscheidung in Ankara, den Bürgerkrieg im Osten der Türkei aufzunehmen.

Also machen Sie künftig auch keinen Urlaub mehr in der Türkei?

Doch, das schon! Es ist ein tolles Reiseland - und ich habe mich dort sehr wohl gefühlt. Ich möchte dem Land verbunden bleiben, wiederkommen und auch wieder von da berichten.

Warum jetzt Wien?

(lacht) Ich wollte endlich mal in ein Land ohne Verrückte, die sich in die Luft sprengen. Ernsthaft: Ich selbst habe kein Problem mit Anfeindungen und gefährlichen Orten, aber ich will meine Familie in Sicherheit wissen.

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