Hasnain Kazim ist Korrespondent des Spiegel und von Spiegel Online in Istanbul, besser: er war es bis vorvergangene Woche. Weil er von den türkischen Behörden keine Verlängerung seiner Presse-Akkreditierung bekommt, musste er die Türkei verlassen. Jetzt ist er in Wien und wird von dort zunächst weiter über die Türkei berichten.
Karfreitag begann in Istanbul der Prozess gegen den Chefredakteur und einen Redakteur der Zeitung Cumhuriyet. Was wird den beiden vorgeworfen?
Man hält ihnen Spionage, die Preisgabe von Staatsgeheimnissen, die Vorbereitung eines Staatsstreichs und die Beihilfe zur Bildung einer terroristischen Vereinigung vor. Schwere Vorwürfe also, die im Falle einer Verurteilung zu einer lebenslangen Haftstrafe führen können.
Wie beurteilen Sie das?
Handelte es sich bei der Türkei um einen demokratischen Rechtsstaat, würde ich sagen: Lassen Sie uns den Gerichtsprozess abwarten, lassen Sie uns sehen, was die Verhandlung ans Tageslicht bringt, und dann kann man sich auf das Urteil der Richter verlassen. In der Türkei sind aber unabhängige Staatsanwälte und Richter strafversetzt oder entlassen worden, wenn sie Urteile fällten, die den Mächten nicht passten. Als das Verfassungsgericht die Untersuchungshaft für die beiden Journalisten bemängelte und sie daraufhin freikamen, sagte Präsident Erdoğan, er erkenne diese Entscheidung nicht an, sie sei gegen die türkische Nation. Sollte das Gericht noch einmal ein derartiges Urteil fällen, werde das Konsequenzen haben. Man sieht also: Die Justiz ist kaum unabhängig. Und wenn man sich anschaut, wie in der Türkei mit Journalisten vorgegangen wird, nämlich dass all jene, die kritisch über die Regierung und den Präsidenten berichten, unter Druck gesetzt, entlassen oder gar ins Gefängnis geworfen werden, halte ich die Vorwürfe gegen die Cumhuriyet-Kollegen für absurd. Ich befürchte, das sind konstruierte Anschuldigungen, um kritische Journalisten mundtot zu machen.
Warum haben Sie selbst vor zwei Wochen die Türkei verlassen?
Wir hatten harte Wochen hinter uns. Hatten gewartet und gehofft, aber es war seit Monaten unklar, ob ich meine Presseakkreditierung bekomme. Weil ich die Verlängerung beantragt hatte, hätte ich, rein rechtlich gesehen, bis Ende des Jahres bleiben können. Aber ich hätte nur einmal aus- und wieder einreisen dürfen. De facto wäre ich in der Türkei gefangen gewesen. Ich bin also nicht offiziell rausgeworfen worden, aber mir ist meine Arbeitserlaubnis nicht ausgestellt worden. Irgendwann war mir klar ich, dass wenn sie einer nicht bekommt, ich das sein würde.
Warum?
Ich habe den Eindruck, dass der Regierung schlicht meine Berichterstattung nicht passt. Und auch die des Spiegel nicht. Vor allem seit dem Titel zu den Protesten im Gezi-Park im Mai 2013 mit der Schlagzeile 'Beugt Euch nicht', an dem ich übrigens nicht mitgeschrieben habe, da ich damals noch in Islamabad, Pakistan, lebte. Und dann gab es noch die Soma-Geschichte im Mai 2014 ...
Da hatten Sie in einem Artikel über ein Grubenunglück in der Stadt Soma einen Bergarbeiter zitiert ...
... mit den Worten "Erdoğan, scher dich zum Teufel". Spiegel Online hatte das Zitat zur Überschrift gemacht und seither wurde es mir in den Mund gelegt. Man behauptete, ich wäre ein Feind des türkischen Präsidenten. Das stimmt natürlich nicht und ist absurd. Aber es blieb bei vielen Türken haften, ich wurde massiv angefeindet und bekam Morddrohungen.
Damals sind Sie schon einmal ausgereist, was fürchteten Sie diesmal?
Ich bin von türkischen und deutschen Quellen gewarnt worden, dass ich wegen angeblicher Unterstützung terroristischer Organisationen und Präsidentenbeleidigungen angeklagt werden könnte. Viele türkische Kollegen sind davon ja inzwischen betroffen, und es hat auch schon eine niederländische Journalistin getroffen. In dem Fall wäre ich mit einer Reisesperre belegt worden. Ich hätte nicht ausreisen, aber auch nicht schreiben dürfen. Es war eine sehr belastende Situation für mich und meine Familie. Bis ich im Flugzeug saß, wusste ich nicht, ob wir ausreisen durften. Deshalb hat uns auch ein Mitarbeiter des deutschen Generalkonsulats zum Flughafen begleitet.
Gab es weitere aktuelle Auseinandersetzungen?
Ich war in den vergangenen Wochen viel im Osten der Türkei unterwegs, und habe da natürlich auch mit der PKK gesprochen. Ich hatte auch mehrfach Vertreter der türkischen Armee angefragt, aber die wollten nicht mit Journalisten reden.