In Deutschland gilt Preppen immer noch als bizarres Hobby von Menschen mit bedrohlicher psychischer Schlagseite – so was machen doch nur Weltuntergangsapostel, Reichsbürger oder kontaktgestörte Männer mit einer eigentümlichen Faszination für Schusswaffen und Zombiefilme.
Auftritt Pär Plüschke. Ein großgewachsener Mann, ruhig, bescheiden, zugewandt. Inmitten seiner schwarzen Funktionskleidung strahlt das bunte Halstuch noch bunter, als es ohnehin schon ist. Plüschke hat gerade Nachtwache gehalten, allein, im Café Torpet i Orhem, draußen im Walde, weit hinter Stockholm. Auf das Café wurde im vergangenen Jahr ein Brandanschlag verübt, höchstwahrscheinlich von Neonazis. Vor einigen Tagen hat es, rundum renoviert, neu eröffnet, der Freundeskreis um die Besitzerin hält nun nachts abwechselnd Wache, diese Nacht war eben Plüschke dran. Aber darum soll es hier erst mal nicht gehen.
Plüschke sagt Sätze wie: „Menschen sind dann am resilientesten, wenn sie zusammenarbeiten.“ – „Survival of the Fittest? Kann sein. Aber fit bin ich im Ernstfall nicht, wenn ich die meisten Liegestützen kann, sondern wenn ich ein tragfähiges soziales Netz habe.“ – „Viel wahrscheinlicher als der allumfassende Weltuntergang sind doch in unserer hochkomplexen Welt so was wie Lieferkettenprobleme. Oder Stromausfälle. Siehe Spanien und Portugal.“

Die meisten Leute seien soziale Wesen, die spontan dazu neigen, einander zu helfen, sagt Pär Plüschke
Bei dem riesigen Stromausfall auf der Iberischen Halbinsel kehrte der Strom Ende April innerhalb eines Tages zurück. Aber was, wenn er mal länger wegbleibt? In Marc Elsbergs preisgekröntem Thriller „Blackout“ kommt es nach einem europaweiten Stromausfall sofort zu bürgerkriegsähnlichen Szenen. Pär Plüschke glaubt nicht, dass die Leute in solch einer Situation übereinander herfallen würden. Wir alle seien stark geprägt von den Narrativen der Actionfilme: „Für die Spannung ist es natürlich besser, wenn ein sozialdarwinistisches Gemetzel jeder gegen jeden losbricht. Hat nur nichts mit der Wirklichkeit zu tun“, so Plüschke.
Der 48-jährige Sozialpädagoge hat miterlebt, wie 2012 bei ihm in der Straße, im Stockholmer Vorort Skarpnäck, ein Wohnblock ausgebrannt ist. 200 Menschen haben damals von einem Moment auf den anderen alles verloren. Plüschke war überrascht, wie viele danach versucht haben mitzuhelfen: „Die Leute brachten aus ganz Stockholm Kleidung, Hygieneartikel, Essen.“ Ein Helferkreis entstand, die Kommune stellte einen Raum, der zum Second-Hand-Laden wurde, dessen Erträge den ausgebrannten Familien als Startkapital diente.
Im selben Jahr zerstörte der Hurrikan Sandy im Großraum New York Strom- und Telefonleitungen. „Die staatliche Hilfsorganisation Fema zog vorübergehend ihre Leute ab, weil es ihnen zu gefährlich war“, so Plüschke. „Da haben sich spontan 62 000 Leute zusammengetan und ein Nachbarschaftsnetz organisiert: Wer kann wo und womit aushelfen?“ Was er meint und im Verlauf des Vormittags mehrfach wiederholt und mit weiteren Beispielen belegt: Die meisten Leute sind keine Einzelkämpfer, sondern soziale Wesen, die spontan dazu neigen, sich zu vernetzen und einander zu helfen.
Aus seinem Engagement zugunsten der ausgebrannten Nachbarn ging ein kleiner Verein hervor: Preppa tillsammans. Zusammen preppen. Wenn man ihn auf den Namen anspricht, muss er selber lachen: „Schönes Oxymoron, oder? Führt auch immer zu Nachfragen: Wie jetzt? Preppen? Zusammen? Ist das nicht ein Widerspruch? – Und schon bist du im Gespräch.“
Plüschke kann sich kaum noch retten vor Anfragen, die Behörde für Zivilschutz verweist auf seinen Vereín
Plüschke bietet viertägige „Bereitschaftskurse“ an, in denen er so was wie generelle Handlungsfähigkeit trainiert. Erste-Hilfe-Training, Gemüseanbau, welche Pflanzen sind essbar, wie kann man medizinische Schutzausrüstung und andere Gebrauchsgegenstände mit einfachen Mitteln herstellen? Es gehe nicht darum, sich einzudecken mit Klopapier und teuren Sturmkochern. „Viel besser ist doch, wenn ich weiß, dass ich so einen Kocher im Ernstfall selber basteln kann, dafür reichen ja zwei Konservendosen.“
Plüschke ist dieser Nebenberuf fast schon organisch zugewachsen. Er war mit seinem Sohn in den Ferien immer schon draußen in der Natur. Und als Sozialarbeiter bietet er für Schulklassen Tage im Freien an, mit Lagerbau, Feuer, Windschutz. „Viele Kinder sind mit mir überhaupt das erste Mal draußen im Wald. Es gibt einen enormen Welterfahrungsmangel. Aber bei den Erwachsenen ja genauso.“
Im Grunde, so sagt er am Ende der Begegnung, sind seine Kurse ein Antidot „gegen die überwältigenden Ohnmachtsgefühle unserer Tage. Weil es eigentlich darum geht, eine einzige Frage zu beantworten: Wer möchte ich sein, wenn etwas passiert?“
300 Lebensmittelgeschäfte bekommen Notstromgeneratoren
Plüschke kann sich mittlerweile kaum noch retten vor Anfragen, es gibt Ausgründungen in anderen schwedischen Städten und die staatliche Behörde für Zivilschutz und Krisenbereitschaft verweist online auf die Website des Vereins.
Nun ist das Preppen im Sinne der souveränen Selbstertüchtigung in ganz Skandinavien viel verbreiteter als in Deutschland. In Norwegen wurde gerade der Begriff Beredskapsvenn zum Wort des Jahres gewählt. Man kann das Kofferwort übersetzen als Vorsorge- oder Bereitschaftsfreund. Die norwegische Regierung hat im vergangenen Herbst eine Notfallbroschüre an alle Haushalte verschickt, in der den Bürgerinnen und Bürgern unter anderem geraten wird, sich solch einen Beredskapsvenn zu suchen. Schließlich sei man in Extremsituationen oft auf die Hilfe anderer angewiesen.
Noch viel weiter als Schweden und Norweger in Sachen Training für den Ernstfall ist freilich Finnland. Während sich ganz Resteuropa nach dem Fall der Mauer mental entspannte, blieb das Land, das eine 1340 Kilometer lange Grenze mit Russland teilt, immer in Habachtstellung. Es gibt Bunkerplätze für vier Millionen Menschen (Finnland hat gerade mal 5,5 Millionen Einwohner) und staatliche Lagerhäuser, in denen genug Vorräte liegen, um die Bevölkerung im Notfall mehrere Monate lang zu versorgen. Zusätzlich baut die Regierung in diesem Frühjahr ein zweites Versorgungsnetzwerk auf: 300 Lebensmittelgeschäfte im ganzen Land sollen mit Notstromgeneratoren ausgestattet werden, damit sie auch bei einem landesweiten Stromausfall den normalen Geschäftsbetrieb aufrechterhalten können. Vor allem aber sind die Finnen immer schon Selbstversorger.

Ein Anruf bei Johanna Söderholm, einer Englischlehrerin aus dem westfinnischen Vaasa, die sich selbst als „stinknormale Durchschnittsfinnin mittleren Alters“ bezeichnet. Gerade deshalb ist es interessant, dass sie immer Vorräte parat hat. Ja klar, sagt sie, Batterien, viele davon, fürs Radio und für die Taschenlampe. Konservendosen für sich und den Hund. Trockenfrüchte. Im Sommer sammelt sie massenweise Beeren und Pilze. Und sie hat eine Tiefkühltruhe, „randvoll mit Fleisch und Fisch, vieles von Freunden, die selber jagen. Wobei mir die natürlich wenig bringt, wenn der Strom ausfällt.“
Aber, so sagt sie, wenn der Ernstfall eintritt, ist das Wichtigste eh, dass man improvisieren kann. „Wir sind eine Nation von Pfadfindern, jeder kann im Wald einen Unterstand bauen. Wir lernen in der Schule, mit Schnitzmessern umzugehen, und in vielen unserer Sommerhütten musst du auch klarkommen ohne Strom. Die Männer waren alle beim Militär und können deshalb alle sehr praktische Dinge: Feuer machen ohne Streichhölzer, wie funktioniert ein Trockenklo, so Zeug.“
Viele finnische Frauen wollen das jetzt auch lernen, seit Beginn des Ukrainekriegs hat sich das Angebot der Survival-Kurse speziell für Frauen an den Volkshochschulen verdoppelt – „und sie sind dauernd alle ausgebucht“. Söderholm schaut extra noch mal online nach, während wir reden, „ja, tatsächlich, alle Kurse sind voll, gibt nur Wartelisten“.
Krieg oder Krise, Düsenjäger oder Trockenobst – beim Sprechen über den Notfall kommt es auf das Framing an
Eines der erfolgreichsten Fernsehformate in Schweden ist die Reality-Serie „Expedition Robinson“, für die ein Haufen gut aussehender Menschen auf irgendeiner einsamen exotischen Insel ausgesetzt wird, um sich dann in zwei Gruppen durchzuschlagen. Es gab bereits 28 Staffeln. „Aber das ist nicht erfolgreich wegen des Survival-Krams“, so Johanna, die selbst Schwedisch kann und der Serie in Hassliebe verbunden ist. „Das ganze Robinson-Crusoe-Zeug ist immer nur der Hintergrund für Intrigen und Liebesdramen. Aber als das finnische Fernsehen die Serie adaptiert hat, war das ein ziemlicher Flop. Weil die Finnen alle nur brav Hütten gebaut und Fische gefangen haben, wie bei einem Pfadfinderwettbewerb. Kaum Sex, kein Drama. Wurde nach zwei Staffeln wieder abgesetzt. Auf einer Insel überleben, das können wir eh alle selber.“
In einem stimmen Söderholm und Plüschke überein: Das Wichtigste am Sprechen über den Ernstfall sei das Framing. Die Broschüren, die die norwegische und die finnische Regierung im vergangenen Herbst an ihre Bevölkerung verschickt haben, sind in ruhigem Tonfall gehalten. Es geht um Notfall-Listen für kollektive Krisensituationen wie Naturkatastrophen oder Stromausfälle. In Finnland heißt das Ganze betont trocken „Vorbereitung auf Zwischenfälle und Krisen“. Ähnlich nüchtern heißt es in der norwegischen Einleitung: So tragen Sie dazu bei, dass Norwegen gut vorbereitet ist. Man sieht Kerzen, Trockenobst und Wasservorräte.
Die schwedische Broschüre hingegen klingt nach Doomsday: „Wenn die Krise oder der Krieg kommt“. Man sieht nicht Lebensmittelvorräte, sondern Soldaten, Kriegsschiffe, Düsenjäger. Im Text taucht dann 29 Mal der Begriff Krieg auf. Pär Plüschke hat diese Broschüre in Form eines Aufklebers kreativ weiterentwickelt: dasselbe Gelb, derselbe Bildaufbau, nur dass bei ihm weit und breit keine Kriegsfantasie zu sehen ist, sondern Menschen, die einander helfen. Aus der dräuenden Überschrift wird eine Frage: Wenn die Krise oder der Krieg kommt? Darunter steht die Antwort: „Dann kümmern wir uns umeinander.“
Zwei Tage nach der Begegnung mit Plüschke hat der Autor dieser Zeilen ihm erzählt, dass er gerade aus allernächster Nähe einen Suizid miterlebt hat. Und wer hat da alles stehen und liegen gelassen, ist quer durch Stockholm gefahren und klingelte an der Tür? Genau. Pär Plüschke. „Ich wollte nur kurz schauen, wie es dir geht.“