Preisträger:Applaus und Ärger - die Geschichte des Karlspreises

Churchill Ehrungen

Winston Churchill (2. v. r. neben Bundespräsident Theodor Heuss) erntete bei der Preisverleihung 1956 auch Proteste. "Wundert dich das, Darling?", soll seine Frau, Lady Clementine (r.), gesagt haben.

(Foto: ullstein bild)

Meist werden Politiker ausgezeichnet, doch nicht alle Preisträger sind auf Begeisterung gestoßen. Und manchmal fiel die Ehrung ganz aus.

Von Stefan Ulrich

Ob Karl der Große, wenn er noch lebte, wohl den Karlspreis bekäme? Eher nicht. Denn der Kaiser einte das lateinische Europa nicht friedlich, sondern mit Gewalt. Er zog in viele Angriffskriege, richtete Gemetzel unter den Sachsen an und führte auch als christlicher Ehemann nicht unbedingt ein sündenarmes Leben. Das Direktorium der Karlspreisgesellschaft wählt aber gern Persönlichkeiten aus, für die es mehr Applaus als Kritik erwarten kann.

Der Papst aus Südamerika ist so ein Beispiel. Mit vielen seiner Botschaften können sich auch Nicht-Katholiken identifizieren. So spricht sich der Pontifex energisch für ein vereintes Europa aus, und das in einer Zeit, in der die EU "einen dramatischen Vertrauensverlust" erlebt, wie das Direktorium schreibt.

So sagte der Papst im November 2014 vor dem Europäischen Parlament: "Es ist der Moment gekommen, den Gedanken eines verängstigten und in sich selbst verkrümmten Europas fallen zu lassen, um ein Europa zu erwecken und zu fördern, das ein Protagonist und Träger von Wissenschaft, Kunst, Musik, menschlichen Werten und auch des Glaubens ist." Das wirkt wie Balsam auf die Wunden der Europa-Freunde in Aachen und anderswo.

In manchen Jahren fiel die Ehrung aus

Franziskus ist nicht der erste Kirchenmann, der den Karlspreis erhält. Vor ihm wurden Frère Roger als Gründer der ökumenischen Bruderschaft von Taizé (1989), Papst Johannes Paul II. (2004) und Andrea Riccardi, der Gründer der katholischen Laienbewegung Sant'Egidio (2009), geehrt.

In den meisten Jahren ging der Preis allerdings an Spitzenpolitiker: etwa an den früheren französischen Präsidenten Valéry Giscard d'Estaing, der 2003 für seine Arbeit als Präsident des Europäischen Verfassungskonvents ausgezeichnet wurde; oder an den damaligen ungarischen Außenminister Gyula Horn (1990), der den Eisernen Vorhang öffnete und mit dafür sorgte, dass die europäische Einigung nicht auf den Westen des Kontinents beschränkt blieb.

Europhobe Briten könnten bedenken, dass 1955 der Premierminister Winston Churchill vom Aachener Direktorium erwählt wurde. Als er ein Jahr später den Preis in Empfang nahm, rühmte er die "mitreißende Idee der europäischen Einheit". Allerdings schätzten nicht alle bombengeschädigten Bürger Aachens den britischen Premier. Als er in der Stadt auf Protestierer traf, sagte Churchill zu seiner Frau: "Man mag mich nicht." Sie soll erwidert haben: "Wundert dich das, Darling?"

Gewisse Probleme gab es auch bei der Auszeichnung Robert Schumans. 1951 lehnte der damalige französische Außenminister den Preis aus Deutschland ab. Erst 1958, Schuman war inzwischen Präsident des Europäischen Parlaments, und der Karlspreis war nun etabliert, nahm er ihn an.

Die Wahl von Kissinger führte zu Protesten

Richtig Ärger verursachte 1987 der Karlspreis für den früheren US-Außenminister Henry Kissinger. Seine Wahl führte zu Protesten in der Öffentlichkeit und zur Spaltung des Karlspreis-Direktoriums. Die Mehrheit sah in Kissinger einen Entspannungs- und Abrüstungspolitiker. Die Minderheit hielt ihm die früheren Flächenbombardements in Vietnam und in Kambodscha vor. Außerdem argumentierten der Vertreter der SPD und der Grünen im Direktorium, Kissinger habe schon 1957 "die Idee vom auf Europa begrenzten Nuklearkrieg geboren und sich damit doch selbst diskreditiert". Die beiden Politiker traten aus Protest aus dem Direktorium aus.

In anderen Jahren vergab Aachen überhaupt keinen Karlspreis, weil die europäische Einigung stockte und niemand als preiswürdig erschien. Dafür wurde 1986 gleich das ganze Volk von Luxemburg für seinen beharrlichen Einsatz für Europa geehrt. 2002 überraschte das Direktorium mit der Wahl des Euro, da er "wie kein anderer Integrationsschritt zuvor die Identifikation mit Europa befördert und damit einen entscheidenden, epochemachenden Beitrag zum Zusammenwachsen der Völkerfamilie leistet". Das dürften heute manche anders sehen.

Papst Franziskus ist ein besserer Karlspreis-Träger als es Karl der Große wäre

Auffällig ist, dass bisher kaum Frauen den Karlspreis erhalten haben. Zu den Ausnahmen gehören die Französin und damalige Europaparlaments-Präsidentin Simone Veil (1981) oder die litauische Präsidentin Dalia Grybauskaitė (2013).

Bei aller möglichen Kritik an der Vergabepraxis darf nicht verkannt werden, dass der Karlspreis eine ausgezeichnete Bühne bietet, um positive Visionen von Europa zu vermitteln. Stets geht es in einem umfangreichen Programm um die Einheit der Europäer. Im Zentrum steht die Völkerverständigung. Auch deswegen ist Papst Franziskus ein besserer Karlspreis-Träger, als es Karl der Große wäre.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: