Prantls Blick:Ein Bierdeckel für die Einwanderung

CDU Candidates Campaign In Halle

Mit seinem Asylvorstoß hat Friedrich Merz in der vergangenen Woche für einen ordentlichen Knall gesorgt.

(Foto: Getty Images)

Seit 140 Jahren gibt es Einwanderung in Deutschland und seit 140 Jahren bringt die Politik keine vernünftige Regelung dafür zustande. Warum ist das so? Und wie sähe ein guter Geist in der Migrationspolitik aus?

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Friedrich Merz hat so seine Tricks. Zu ihnen gehört der Trick mit der Brötchentüte. Das ist eigentlich ein Kindertrick. Der war schon damals recht beliebt, als Merz noch ein kleiner Junge war; und Merz setzt ihn, wie sich zeigt, noch immer gerne ein.

Mit dem kleinen Jungen und der Semmeltüte verhält es sich so: Wenn nichts mehr drin ist in der Tüte, wenn also die Schrippen und die Brötchen schon im Körbchen auf dem Frühstückstisch drapiert sind, bläst der Junge die Tüte heimlich auf, haut drauf - und freut sich diebisch, wenn's knallt und alle sich ein wenig erschrecken. So war es in der vergangenen Woche, als Merz auf der Regionalkonferenz in Thüringen die Abschaffung des Asylgrundrechts gefordert hat. Das war ein Knaller! Aber gleich nachher gab Merz wieder Entwarnung.

Merz spielte schon früher gern das Knalltütenspiel

Man darf gespannt sein, was Merz in der kommenden Woche, zum großen Finale, diesbezüglich noch bietet. Die Regionalkonferenzen der CDU mit dem Schaulaufen und Schaureden der Merkel-Nachfolgekandidat(inn)en enden am kommenden Freitag in Berlin (über die vergangenen Regionalkoferenzen hat Nico Fried für die SZ berichtet).

Schon als Friedrich Merz - für relativ kurze Zeit - Fraktionschef der CDU/CSU im Bundestag war, hat er das Knalltütenspiel gern gespielt. Er hat den Begriff "Leitkultur" knallen lassen. Er hat diese Kultur nicht klar beschreiben können, aber klar war schon, dass das für ihn kein integrierender, sondern ein ausgrenzender Begriff war, ein spaltendes Kampfwort. Die konservativen Kreise in der CDU freuten sich jedenfalls damals, dass von der CDU wieder etwas Knalliges zu hören war. Und Angela Merkel, die CDU-Chefin, adelte die Knallerei damals mit einem Geständnis und erklärte sie zur Marschmusik der Union: Man müsse die Leitkultur in die Programme schreiben, weil sich "die anderen so wunderschön darüber aufregen". Angela Merkel hat mittlerweile gelernt, dass es nicht immer gut ist, Politik damit zu machen, dass man die anderen aufregt. Merz hat das nicht gelernt, er hatte anderes zu tun.

Bei der Einwanderung arbeitet der Rüttelstampfer

In dem Bereich von Migrationspolitik und Einwanderungsrecht ist das besonders heikel. Es handelt sich um den defizitärsten Bereich der deutschen Politik. In keinem anderen Feld der Politik geschieht schon so lange nichts Gescheites - seit 140 Jahren. Seit 140 Jahren findet Einwanderung in Deutschland statt, und gleichwohl tun Politiker immer noch so, als seien sie die Ersten, die damit befasst sind. Die Gesetzgebung in diesem Bereich gleicht dem Rüttelstampfer im Straßenbau: Der hüpft immer auf der gleichen Stelle herum.

Auf dem Bierdeckel

Soeben ist wieder einmal eine Art Einwanderungsgesetz, diesmal ein "Fachkräfte-Zuwanderungsgesetz", ausgearbeitet worden, der Referentenentwurf ist in die Ressortabstimmung gegeben worden; es soll am 19. Dezember vom Kabinett verabschiedet werden. Es ist kein großer, sondern nur ein kleiner Wurf, es fehlt zum Beispiel der so bitter notwendige Spurwechsel vom Asylrecht ins Einwanderungsrecht; und es fehlt vor allem die schnelle Kapierbarkeit der Regeln. Ein Einwanderungsrecht, das so kompliziert ist wie das deutsche Steuerrecht, ist Mist. Hier hätte vielleicht die analoge Forderung von Friedrich Merz noch Sinn: Ein Einwanderungsrecht muss so einfach sein, dass man es auf einen Bierdeckel schreiben kann.

Schon früher wurde über die Gastarbeiter diskutiert

Die Gesetzgebung auf dem Gebiet des Ausländerrechts ist Gesetzgebung ohne Gedächtnis. Schon im Jahr 1880 haben die ostdeutschen Gutsbesitzer damit begonnen, Arbeitskräfte aus Polen anzuwerben und auf ihren Gütern zu beschäftigen. Die Geschichte der Gastarbeiter in Deutschland beginnt also nicht erst in den späten fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts, sondern viele Jahrzehnte früher: Der Reichstag in Berlin, das Reichsgericht in Leipzig, die U-Bahn in der Reichshauptstadt und das deutsche Eisenbahnnetz sind überwiegend von ausländischen Arbeitern gebaut worden. Schon die öffentliche Diskussion damals schwankte zwischen Arbeitskräftebedarf und Überfremdungsangst.

Die Wirtschaft suchte billige und willige Arbeitskräfte, bei denen man es mit den Sozialgesetzen und den Unfallverhütungsvorschriften nicht so genau nehmen musste. Und die Gewerkschaften sahen schon damals das Lohngefüge von den Ausländern bedroht. Aus den polnischen Wanderarbeitern, die in den Ruhrpott kamen, wurden Einwanderer. Und deshalb tobte schon im Kaiserreich ein Streit, wie ihn dann sehr viel später die Bundesrepublik Deutschland in ihren Wahlkämpfen immer wieder erlebte. Die "Alldeutschen" warnten vor einer Polonisierung Deutschlands und die Tonlage dabei unterschied sich kaum von den heutigen Warnungen vor der Islamisierung Deutschlands.

Der Ochs vor dem Berg

All das kommt einem bekannt vor, aber es gibt keine Erinnerung daran. In anderen Rechtsgebieten war und ist es so, dass sich das Recht fortentwickelt, dass es aufbaut auf dem, was war; dass es sich wandelt, korrigiert, dass es lernt, dass der Gesetzgeber es verbessert, dass das Parlament legislativ auf die gesellschaftlichen Veränderungen reagiert. Also gab es in den vergangenen hundertvierzig Jahren großen Fortschritt im bürgerlichen Recht, auch im Staats- und Verfassungsrecht. Aber das Einwanderungsrecht ist ein Recht, das auf der Stelle tritt. Politik und Gesetzgeber stehen vor der Einwanderung und ihren Problemen immer wieder neu wie der Ochs vor dem Berg. Wenn die Politik aber kein Gedächtnis hat, handelt sie hirnlos.

Es geht darum, den Migranten das Leben nicht noch schwerer zu machen. Es geht darum, die Hand auszustrecken. Es geht um den fehlenden guten Geist in der Einwanderungspolitik. Bert Brecht hat sich schon vor Jahrzehnten mit diesem guten Geist beschäftigt; er machte das in einem schlichten Gedicht, in dem er sich mit dem Schicksal eines italienischen Gastwirts vor dem Einbürgerungsrichter in Los Angeles beschäftigt; Brecht wirbt für eine humane Politik, die den potenziellen Neubürger dem Wort entsprechend behandelt: als Bürger, nicht als Gegner.

Neubürger als Bürger behandeln

"Nach ernsthafter Vorbereitung, leider behindert durch seine Unkenntnis der neuen Sprache", so Brecht, "sagt der Italiener auf die Testfrage, was denn das '8. Amendment' bedeute, zögernd: '1492'. Die richtige Antwort wäre gewesen: Es handelt sich um den achten Zusatz zur US-Verfassung, der grausame Behandlung verbietet. Da das Gesetz dem Bewerber die Kenntnis der Landessprache vorschreibt, wird er abgewiesen. So auch beim nächsten Versuch, drei Monate später, als er auf eine neue Frage wieder, laut und freundlich, '1492' erwidert. Als der dritte Versuch genauso verläuft, erkundigt sich der Richter, dem der Mann gefällt, danach, wie der lebe, und erfährt: 'schwer arbeitend' - und legt ihm deshalb die Frage vor: Wann wurde Amerika entdeckt? Auf Grund der richtigen Antwort '1492' erhält der Mann die Staatsbürgerschaft." - Er konnte zwar nur schlecht Englisch und kannte die US-Geschichte kaum, aber er hatte halt andere Vorzüge: Er arbeitete bis zum Umfallen und war ein ordentlicher Familienvater.

Vom guten Geist der Einwanderungspolitik

Das Brecht-Stück heißt "Der demokratische Richter", und der Mann der Justiz ist die Verkörperung des guten Geistes einer Einwanderungsgesellschaft. Von diesem guten Geist würde man gern ein wenig mehr haben wollen in der deutschen Migrations- und Integrationspolitik. Es ist ein Geist, der Heimat gibt. Vielleicht flackert er ja bei den CDU-Regionalkonferenzen in der kommenden Woche noch auf.

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion und Ressortleiter Meinung der SZ, mit einem Thema, das in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant ist. Hier können Sie "Prantls Blick" auch als wöchentlichen Newsletter bestellen - exklusiv mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

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