Süddeutsche Zeitung

Prantls Blick:Warum die SPD hofft, dass am kommenden Sonntag Weihnachten ist

Steinbrück schaffte es vor vier Jahren beim TV-Duell mit der Kanzlerin, sich von einer aussichtslosen auf eine weniger aussichtslose Position zu bringen. Wie wird es Martin Schulz ergehen?

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion und Ressortleiter Innenpolitik der SZ, mit politischen Themen, die in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant sind. Hier können Sie "Prantls Blick" als wöchentlichen Newsletter bestellen - mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

Als Journalist bekommt man ziemlich viel Post, Post von einem Kanzlerkandidaten eher selten. Der Brief, von dem ich Ihnen heute - angesichts des am kommenden Sonntagabend bevorstehenden TV-Duells zwischen Angela Merkel und ihrem Herausforderer Martin Schulz - erzählen will, ist ziemlich lang und er beginnt, für den Schreiber untypisch, etwas gewunden: "Als Journalist", heißt es da, "müssen Sie über mich und meinesgleichen Politiker schreiben, meine Arbeit, auch deutlich, kritisieren - während es umgekehrt gerade nicht meines Amtes ist, Ihre Kommentare öffentlich zu kritisieren."

Aber gleichwohl klagt der Schreiber in diesem Brief dann seitenlang darüber, dass die "Vielzahl sozialer Komponenten" in seinem Wahlprogramm von mir nicht gewürdigt würden; der Schreiber stört sich an der "Geringschätzung", ja dem "Hochmut", die ich seinem "Engagement für die Arbeitnehmer, die Rentner und die Schwachen in dieser Gesellschaft" entgegenbrächte.

Das ist nun schon gut 19 Jahre her. Der Absender war Gerhard Schröder - und der Brief war, wie sich herausstellte, eigentlich gar kein richtiger Brief, sondern eine Art Wahlkampfgag. Denn gleichzeitig mit dem Brief erreichte mich ein Buch aus dem Hoffmann und Campe Verlag mit dem Titel "Und weil wir unser Land verbessern", in dem "26 Briefe für ein modernes Deutschland" abgedruckt waren, darunter auch der zitierte Brief an mich.

Das war im Jahr 1998, in dem Jahr also, in dem Schröder nach einem furiosen Wahlkampf Helmut Kohl als Kanzler ablöste. Der Brief war eine pfiffige Idee in einer Zeit, in der es in Deutschland noch kein Fernsehduell zwischen Kanzler und Kanzlerkandidat gab, weil sich Helmut Kohl diesem Format strikt verweigerte; zur Begründung sagte der damalige CDU-Generalsekretär Peter Hintze später, Kohl habe "den Kanzlerstatus nicht beeinträchtigen lassen und den Kanzlernimbus nicht gefährden" wollen. Geholfen hat Kohl diese Vorsicht nichts, er wurde als Kanzler abgelöst - und Schröder konnte daran gehen, "sein Engagement für die Schwachen in dieser Gesellschaft" zu beweisen, was er in einer Art und Weise bewerkstelligte, die der SPD fast den Garaus gemacht hätte.

Ich habe mich an Schröders Brief-Buch-Wahlkampfaktion deswegen erinnert, weil er darin von den Vorzügen der Mediendemokratie schrieb, seine Medienkompetenz herausstellte und dafür plädierte, "dass die Politik sich der Vermittlung durch die Medien stellt"; er werde "auch weiterhin versuchen, das offen und unverkrampft zu tun". Mitten im Wahlkampf und trotz seiner Offenheit und Unverkrampftheit hatte Schröder natürlich keine Zeit dafür, das alles selbst zu schreiben - das hat sein Redenschreiber und Mastermind, der wunderbar-geniale und weltläufige Publizist Reinhard Hesse gemacht, 2004 allzu früh im Alter von 48 Jahren gestorben ist. Mein Newsletter heute ist auch eine kleine Gelegenheit, dem Kollegen Hesse, der mehr Bücher unter dem Namen Schröders als unter seinem eigenen veröffentlicht hat, eine späte Referenz zu erweisen.

Natürlich berief sich Schröder in dem Brief von 1998 auch noch auf John F. Kennedy, dem "vorgeworfen worden sei, er habe die Wahl 1960 vor allem wegen des Fernsehens gewonnen" - was allerdings kein Vorwurf war und ist, sondern ein Faktum: Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte der damals 43-jährige Kennedy gegen den nur vier Jahre älteren Richard Nixon nicht wegen der Debatte gewonnen, die nach allgemeinem Urteil unentschieden verlaufen war, sondern weil Kennedy sich als jung und frisch hatte präsentieren können, als new hope for a new era.

Seit dem Duell zwischen Kennedy und Nixon von 1960 warten Wahlkampfstrategen auf die TV-Duelle wie Kinder auf Weihnachten - und hoffen auf die überwältigende Kraft des guten Eindrucks ihres Kandidaten. Die SPD, in den Umfragen weit hinter der Union liegend, setzt - beflügelt vom Zulauf, den die Kundgebungen ihres Kanzlerkandidaten Martin Schulz haben - auf einen neuen Schulz-Effekt, der am kommenden Sonntag, 20.15 Uhr, mit dem TV-Duell beginnen soll. Die Kanzlerin und ihr Herausforderer stellen sich den Fragen von vier Moderatoren. Es ist dies das einzige direkte Aufeinandertreffen der beiden Kanzlerkandidaten vor laufenden Kameras. Ein zweites Duell hat sich Merkel, wie schon früher, verbeten.

Zwei Duelle - sozusagen ein Hin- und ein Rückspiel - gab es nur 2002, als das Format zum ersten Mal ins deutsche Fernsehen kam, damals als Duell zwischen Edmund Stoiber und Gerhard Schröder. Schröder, der einige Zeit vorher noch angekündigt hatte, er werde "sitzend, stehend oder liegend" mit diesem Herausforderer debattieren, hatte aber dann etwas mehr Mühe, als man allgemein erwartet hatte. 2005 (Merkel gegen Schröder) war es Merkel, die ein zweites Duell verhinderte - und dabei blieb es 2009 (Steinmeier gegen Merkel) und 2013 (Steinbrück gegen Merkel); und so ist es diesmal auch.

Angela Merkel reicht ein Auftritt, ihr reicht ein TV-Duell; die Kamera war nie richtig ihr Freund, aber sie hat gelernt, mit ihr verträglich zu leben und sie hat gelernt, mit einem wohlüberlegten und pointiert kurzen Satz im Gedächtnis zu bleiben: "Sie kennen mich!" So war das 2013, beim Duell gegen Steinbrück - das damals 18 Millionen Menschen verfolgt haben. Mindestens so viele werden es auch diesmal sein. Das war und ist spektakulär. Das mag mit der Spektakelhaftigkeit zu tun haben, mit der das alles inszeniert wird. Vor allem aber hat es damit zu tun, dass die Leute spüren: Die Langweiligkeit des Wahlkampfs ist nur eine Kulisse, hinter der es brodelt. Sie wollen wissen, wie die Politiker nach dem Wegräumen der Kulisse agieren werden.

Es ist, seitdem Merkel Kanzlerin ist, schick geworden, über die Langweiligkeit der Wahlkämpfe zu lästern. Diese Langeweile ist ihr Erfolg - und sie ist womöglich auch gefährlich, wenn und weil sich die Menschen in einer Sicherheit wiegen, die nicht existiert. Nicht der Wahlkampf ist langweilig, sondern das Gerede darüber. Schon gar nicht langweilig ist das Schicksal der Schulz-SPD, die in den Umfragen erst nach oben schießt und dann nach unten fällt. Und es ist auch nicht langweilig zu beobachten, ob es ihr noch gelingt, die von Merkel inszenierte Langeweile aufzubrechen.

Martin Schulz hat da am kommenden Sonntag eine gute Gelegenheit. Steinbrück schaffte es vor vier Jahren beim TV-Duell, sich von einer aussichtslosen auf eine weniger aussichtslose Position zu bringen. Er war gut genug, um einen guten Eindruck zu hinterlassen, aber nicht gut genug, um die Stimmung zu wenden und dem Wahlkampf einen Umkehrschub zu geben. Auf den Umkehrschub warten die Sozialdemokraten auch diesmal. Und sie beschwören das Jahr 2002, als Schröder es wider alle Erwartung doch noch schaffte, Stoiber zu besiegen. Schröder war damals sowohl SPD-Kanzlerkandidat als auch SPD-Vorsitzender. Schulz ist das auch. Zum ersten Mal seit 2002 ist das wieder so. Vielleicht ist es ein wenig Aberglaube, wenn die SPD auch daraus Hoffnung zu schöpfen versucht.

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