Süddeutsche Zeitung

Prantls Blick:Die Verachtung der Politik führt zum Aufstieg der Verächter

Eine Verteidigung der rechtsstaatlichen Politik und ihrer Politiker.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Ich will in diesem Brief, aus gegebenem Anlass, über die grassierende Politik- und Politikerverachtung reden - und darüber, was sie anrichtet. Dazu will ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen, die ich einmal selber erlebt habe. Also:

Es war nur ein Hund, und er konnte nichts dafür. Sein Herrchen packte ihn und hob ihn hoch, als ob der Hund so eine bessere Sicht haben sollte auf diesen Wahlkampftag in der Fußgängerzone. Der wahlkämpfende Politiker, es war der amtierende Oberbürgermeister einer Großstadt, es war ein ungelenker, fachlich unumstrittener Verwaltungsjurist, stand hinter dem Tapetentisch seiner Partei. Er hatte zwei Amtsperioden hinter sich und stellte sich zur Wiederwahl; er galt als abgenutzt und gegen ihn kandidierte eine sehr beliebte Frau. Die Szene in der Fußgängerzone sah so aus, als wolle das Herrchen den Hund schnuppern lassen am wahlkämpfenden Oberbürgermeister, als handele es sich um den Versuch, dessen Tierliebe zu testen. Aber auf einmal drehte der Mann seinen Hund um, stieß dem alten OB den Hundearsch ins Gesicht und rief: "Net amol da Hund mog di."

Ein böses Exempel

Die Szene spielt, wie man am Dialekt merkt, im Bayerischen. Sie ist kein ganz aktueller Ausdruck von Politik- oder Politikerverachtung, weil sie sich schon vor drei Jahrzehnten ereignet hat. Sie ist gleichwohl ein böses Exempel dafür, wie in Deutschland mit Politikern umgesprungen wird. Wer "in die Politik" gewählt wird, der wird von einem bisher respektierten Verwaltungsjuristen, Handwerker, Schulleiter oder Geschäftsführer zu einem verdächtigen Subjekt. So war das schon vor ein paar Jahrzehnten - und das ist in den Zeiten des Internets noch viel viel schlimmer geworden.

Lizenz zur Verhöhnung

Sicher: Politiker machen Fehler; und es gibt auch viel zu beklagen und zu verbessern am politischen System. Die Handwerker, Schulleiter und Geschäftsführer machen auch Fehler; und auch in ihren Betrieben gibt es viel zu beklagen und zu verbessern. Aber in der Politik ist es so, als sei der Wahlzettel zugleich eine Lizenz zur öffentlichen Verspottung, Verhöhnung und Verachtung des Gewählten. Und so kommt es beispielsweise dazu, dass nach landläufiger Ansicht die Diäten der Politiker zu hoch sind, ganz egal, wie hoch sie sind. Der Politiker, die Politiker gelten per se als schlecht.

Der Aufstieg der Verächter

Die garstigen Dauergesänge über und gegen Politiker haben mit beigetragen zu einer Politikverachtung, die sich heute auch darin zeigt, dass immer mehr Parteien und Politiker Zuspruch finden, die eine Politik der Verachtung betreiben. Die seit langem grassierende Politikverachtung hat zum Aufstieg von Parteien und Politikern geführt, die die Rüpelei, die Pöbelei und die Verachtung zum Prinzip ihrer Politik erhoben haben - die Verachtung des Anstands, des politischen Gegners, der rechtsstaatlichen Regeln und der Grund- und der Menschenrechte. Der faschistoide italienische Innenminister Matteo Salvini gehört zu ihnen, der US-Präsident Trump und auch die Höcke-Politiker in der AfD, die so tun, als sei braun wieder eine Farbe, die zum Spektrum der deutschen Politik gehören soll. Wer zusammen mit Neonazis und Hitlergrüßern marschiert, darf in Deutschland keinen Fuß mehr auf den Boden kriegen.

Ein Anlass zur Verteidigung

Dieser Newsletter ist aus gegebenem Anlass ein Brief zur Verteidigung der demokratischen Politiker und der rechtsstaatlichen Parteien gegen ihre Verächter. Der gegebene Anlass ist der 75. Geburtstag von Oskar Lafontaine an diesem Sonntag und die Verleihung der Ehrenbürger-Würde an Sigmar Gabriel in seiner Heimatstadt Goslar am kommenden Freitag; Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird in Goslar der Festredner sein. Lafontaine und Gabriel - beide sind sehr umstrittene Politiker, bei beiden handelt es sich um ausgeprägte Charaktere, um Originale. Aber: Die demokratische und rechtsstaatliche Politik braucht solche Persönlichkeiten. Man kann, man darf, man soll über sie streiten; aber der Streit darf nicht verletzend, nicht verleumderisch, nicht verächtlich sein.

Es gibt eine Erwartungshaltung an die Politiker, so klug zu sein wie Marc Aurel, so integer wie Papst Franziskus und so durchsetzungsstark wie ein Bulldozer. Die Lästerer gegen "die Politiker" verlangen auch, dass diese stellvertretend für ihre Wähler uneigennützig, selbstlos und moralisch sind. Wären die vielen Lästerer, die den Politikern Faulheit vorwerfen, weil sie wieder einmal ein ziemlich leeres Parlament sehen, nur halb so fleißig, wie die Politiker es ganz überwiegend sind - dann würde durch das Land wohl ein großer Ruck gehen. Politik ist ein Beruf, in dem fast rund um die Uhr gearbeitet wird. Über einen Ministerpräsidenten wie Markus Söder von der CSU kann man viel Kritisches sagen - aber nicht, dass er nicht fleißig wäre.

Dies ist also eine kleine Verteidigung der demokratischen Politik und ihrer Politiker gegen ihre Verächter. Ich darf, aus gegebenem Anlass, Lafontaine und Gabriel als Exempel nehmen. Beide sind gewiss auch egomanisch; aber ohne eine Portion Egomanie ist das Leben in der Politik kaum auszuhalten. So groß wie bei den beiden Genannten muss die Portion ja nicht unbedingt sein. Aber einer guten Parteiführung gelingt es, die Egomanien ihrer starken Persönlichkeiten zu bündeln. Dies ist der SPD immer weniger gelungen - auch deshalb geht es der Sozialdemokratie so schlecht. Die SPD könnte ganz anders dastehen, wenn ein Lafontaine noch in dieser Partei seine Heimat hätte.

Es gibt Politiker, denen man "Charisma" vergeblich zuzuschreiben versucht. Bei Lafontaine war es eher so, dass versucht wurde, ihm das Charisma wegzuschreiben, es ist nicht geglückt. Jahrelang war er, nach seinem höchst kritisierenswerten, fluchtartigen Rücktritt als SPD-Finanzminister und als SPD-Parteichef im Jahr 1999, der Buhmann der Nation. "Verräter" war das Synonym für Lafontaine. Wenn es um Lafontaine ging, taten ein paar Jahre lang auch ansonsten sachliche Nachrichten so, als seien sie Kommentare. Das war nicht sehr demokratisch - aber Lafontaine hat sich nun dagegen mit demokratischen Mitteln gewehrt: mit Erfolg bei den Wahlen.

Ein Drittel der Engel

Der bayerische Sozialdemokrat Ludwig Stiegler hat Lafontaine einmal einen "Luzifer" genannt. Das ist ein waghalsiger, aber mythologisch lohnender Vergleich: Luzifer war der erste aller Engel, derjenige, dessen Glanz alle anderen Engel überstrahlte, der aber dann in die Unterwelt gestürzt wurde. Luzifer bedeutet wörtlich übersetzt "Lichtbringer". Das beschreibt die Rolle Lafontaines in der SPD in den Jahren 1995 bis 1998 ganz gut. Dann wurde binnen weniger Jahre, die zu den merkwürdigsten in der Parteigeschichte der deutschen Demokratie gehören, aus dem Lichtträger der Sozialdemokraten ihr Diabolus. Spannend ist der Luzifer-Lafontaine-Vergleich auch deswegen, weil Ersterer nach der verlorenen Schlacht im Himmel seine Anhänger, und es war immerhin ein Drittel der Engel, mit sich nahm.

Verbrannte Ressourcen

Die SPD hat einst das Ego von Leuten wie Willy Brandt, Helmut Schmidt und Herbert Wehner ausgehalten, jedenfalls eine lange Zeit; und diese lange Zeit des Aushaltens hat ihr gut getan. Und der CSU hat das addierte Ego von Edmund Stoiber und Theo Waigel nicht unbedingt geschadet; die beiden rieben sich aneinander, aber diese Reibung hat die Partei durchaus gewärmt. Die Schwäche der CSU von heute hängt auch damit zusammen, dass Horst Seehofer und Markus Söder nicht zu einem einigermaßen parteiverträglichen Umgang miteinander gefunden haben. Die Ressourcen der Partei sind in den Rivalitäten zwischen Söder und Seehofer verbrannt. Und die beiden haben ihre Partei in ihrem Gegeneinander radikalisiert: Sie haben versucht, sich gegenseitig flüchtlings- und merkelkritisch zu überbieten - das hat zum Großkrach mit Merkel und der CDU geführt und den Abwärtssog der CSU eingeleitet.

Ein Mittel gegen die Radikalisierung der Gesellschaft

Es ist ungut, ja es weckt auch Mitleid, wenn ein Politiker wie Seehofer, der ein herzhafter und aufrechter Sozialpolitiker war, der sich daher um die Demokratie in diesem Land durchaus verdient gemacht hat, am Schluss seiner Laufbahn dasteht wie ein Zerrbild seiner selbst. Daran ist er selber nicht unschuldig; aber schade ist es trotzdem. Ich schreibe dies, weil, bei aller Kritik, die ich zumal an Seehofer als Innenminister zu üben habe, die Achtung vor einer politischen Lebensleistung nicht verloren gehen darf. Diese Achtung - trotz alledem - haben Leute wie Lafontaine, Gabriel und Seehofer verdient. Diese Achtung ist ein Mittel gegen die Radikalisierung der Gesellschaft.

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion und Ressortleiter Meinung der SZ, mit einem Thema, das in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant ist. Hier können Sie "Prantls Blick" auch als wöchentlichen Newsletter bestellen - exklusiv mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

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