Er stand auf der Bühne wie ein Prophet, schlank, weißhaarig und weißbärtig, mit ausgebreiteten Händen und mit eindringlicher Stimme, seine Rede war wie ein langer Psalm. Es war, als wollte er den Naturgewalten gebieten: Sturm sei still, Wasser geh zurück. 74 Jahre war er damals alt, es war bei der Verleihung des Aachener Friedenspreises an ihn am 1. September 1997. Er predigte für den Frieden im Nahen Osten, er tat es mit aller Inbrunst und mit zorniger Weisheit. Der israelische Publizist und Politiker Uri Avnery warb, wie er es schon so oft getan hatte, für die Verständigung mit den arabischen Nachbarn und mit den Palästinensern, er warb für gegenseitigen Gewaltverzicht, er warb für den Abzug Israels aus den besetzten Gebieten; er warb für das Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat und für Jerusalem als gemeinsame Hauptstadt. Politischen Erfolg hatte er damit nicht, aber viele Preise hat er erhalten, zumal in Deutschland. Er zitierte den zwei Jahre vorher von einem jüdischen Fanatiker ermordeten Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin mit dem Satz: "Verhandlungen führen, als gäbe es keinen Terror". Dieser Satz hat sich mir eingebrannt - weil er klang wie das anspruchsvollste der zehn Gebote und weil er paradox weitergeht: "... und den Terror bekämpfen, als gäbe es keine Verhandlungen".
MeinungPrantls Blick:Sein Freund, der Feind

Von Heribert Prantl
Lesezeit: 5 Min.

Von den Wirrungen der Friedenssuche: Erinnerungen an den israelischen Aktivisten Uri Avnery, der kurz vor dem Hamas-Massaker hundert Jahre alt geworden wäre.
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