Prantls Blick:Sammeln Sie Herzen?

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Jede Menge Mails mit dem Betreff "DSGVO": Die Datenschutzverordnung ist seit Freitag in Kraft. (Foto: dpa)

Die Europäische Datenschutzgrundverordnung mag einen sperrigen Namen haben, aber sie ist etwas Wunderbares. Wie den Datenschutz-Spöttern der Spott vergangen ist und warum der Schutz vor der digitalen Inquisition an der Supermarkt-Kasse beginnt.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

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Lassen Sie sich nicht verunsichern. Die Europäische Datenschutzverordnung, seit Freitag nach zwei Jahren Übergangszeit in Kraft, ist etwas Wunderbares, auch wenn sie einen sperrigen Namen hat. Sie sperrt Ihnen die Tür auf zu Ihren eigenen Rechten. Sie, der Bürger, Sie, die Bürgerin, kriegen, wenn es einigermaßen gut läuft, wieder etwas zurück, was Sie schon verloren hatten: ein Stück Herrschaft über ihre Daten, also über sich selbst. Lassen Sie sich nicht von Facebook und Google, von WhatsApp und Instagram den Bären aufbinden, dass es sich bei der Datenschutzgrundverordnung um ein bürokratisches Monster handele. So reden die, die sich um Datenschutz nicht scheren. So reden die, die sich den Datenschutz als einen von ihnen selbst dressierten Schoßhund wünschen. So reden die, die mit der digitalen Inquisition ihrer Kunden ihre Geschäfte machen - und den verklausulierten Verzicht ihrer Kunden auf Datenschutz als Preis für ihre Dienste verlangen.

Daten - Ausdruck oder Abfall der Persönlichkeit?

Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch Unternehmen, Vereine oder Behörden wird strenger geregelt als bisher. Verbraucher müssen fortan darüber informiert werden, wer ihren Namen, ihre Anschrift, ihre E-Mail-Adresse und Ausweisnummer aus welchem Grund sammelt - und dem dann ausdrücklich zustimmen. Das wird der Privatwirtschaft, das wird Mittelständlern und Arztpraxen, das wird auch der organisierten Zivilgesellschaft in den nächsten Wochen und Monaten noch einige Arbeit machen. Es ist lohnende Arbeit. Im Übrigen: Die Regeln der Europäischen Datenschutzgrundverordnung sind nicht dafür da, kleine Betriebe und Stiftungen zu zwiebeln. Sie sind dafür da, die Selbstherrlichkeit der Daten-Großwirtschaft zu beenden; sie sind dafür da, die subtile Durchleuchtung und Kontrolle der Kunden durch marktmächtige Unternehmen zu erschweren.

Dieser Datenschutz ist nicht einfach ein Schutz der Daten. Er ist ein Schutz der Menschen in der digitalen Welt. Er ist das zentrale Grundrecht, er ist das Ur-Grundrecht der Informationsgesellschaft. Er schützt nicht abstrakte Daten, sondern konkrete Bürger.

Die Geschlechtskrankheiten des Internet-Zeitalters

Der Datenschutz hatte viele Jahre einen unverdient schlechten Ruf. Das Datenschutzrecht galt, zumal bei den Politikern der inneren Sicherheit, als unanständiges Recht für unanständige Leute; die Datenschützer wurden als komische Heilige betrachtet; der Datenschutz wurde von einem Teil der Politik als Täterschutz beschimpft; er stand, angeblich, der Sicherheit und dem Fortschritt im Weg. Es war eine ebenso bequeme wie schlechte Ausrede für mangelnden Service der Behörden, für Fahndungspannen der Polizei und Bürokratismus in Staat und Wirtschaft.

Datenschützer galten als sonderbare Zeitgenossen. Und über den Datenschutz insgesamt wurde geredet, als handele es sich um den Tripper der elektronischen Datenverarbeitung und um die Syphilis des Internet-Zeitalters. So verdarb das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Daten wurden behandelt, als seien sie nicht Ausdruck, sondern Abfall der Persönlichkeit. Die Quittung erhielt die Gesellschaft, als ein Datenschutzskandal den anderen jagte - bei Lidl, bei den Banken, bei der Bahn, bei Telekom und Co.

Der Datenschutz - er muss auch davor schützen, dass Angestellte auf dem Klo und in den Umkleidekabinen ihrer Firma von Videokameras gefilmt werden. Der Datenschutz muss davor schützen, dass die Chefs den Telefon- und Kommunikationsverkehr ihrer Angestellten umfassend und systematisch abhören. Der Datenschutz muss davor schützen, dass Personalchefs Dossiers über die Macken und Krankheiten ihrer Beschäftigten anlegen. Der Datenschutz muss davor schützen, dass die Internetfirmen ihre Kundschaft rastern und steuern, lenken und leiten.

Der beste Datenschutz ist Datensparsamkeit

Die unglaubliche Datenschlamperei in ganz Europa, vor allem die Datengier von Google und Co - all das hat den Spöttern den Spott ausgetrieben. Und seitdem Bankkunden fürchten müssen, dass ihre Konten per Internet geplündert werden, weiß jeder potentiell Geschädigte, was Datenschutz ist: Vorbeugung gegen Missbrauch.

Datenschutz ist nicht Täterschutz, sondern Schutz vor Tätern, die mit Daten Schindluder treiben. Der Datenschutz und der Schutz vor der digitalen Inquisition beginnt an der Supermarkt-Kasse. Er beginnt mit der Antwort auf die Frage: "Sammeln Sie Herzen?", um dann damit an Rabatt- oder Payback- oder Gewinnspiel-Aktionen teilzunehmen. Jeder, der im Supermarkt einkauft, kennt diese Frage. Der Kunde tauscht seine Daten gegen Happy Digits. Mit der richtigen Antwort auf die Herzchenfrage wird jeder zu einem kleinen Datenschützer. Der beste Datenschutz ist nämlich Datensparsamkeit.

Die Europäische Datenschutzgrundverordnung ist ein Geburtstagsgeschenk - es ist ein Geburtstagsgeschenk für das "Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung", das in diesem Jahr 35 Jahre alt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat dieses Grundrecht 1983 im sogenannten Volkszählungsurteil formuliert. Dieses Grundrecht, so die Richter damals, solle den Bürger "gegen unbegrenzte Erhebung, Speicherung, Verwendung und Weitergabe seiner Daten" schützen. Die Verfassungsrichter wandten sich damals sehr eindringlich gegen eine Gesellschaftsordnung, "in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß".

Eine Kampf- und Rechtsansage

Zu lang wurden solche Sätze beschmunzelt von einer Politik, die berufen gewesen wäre, sie zu realisieren. In Artikel 8 der EU-Grundrechtecharta steht der Satz: "Jede Person hat das Recht auf Schutz der sie betreffenden personenbezogenen Daten". Das darf kein bloßes Sprüchlein sein; das muss eine Kampfansage sein und eine Rechtsansage.

Sammeln Sie Herzen? Vielleicht gibt es dafür bessere Orte als die Supermarktkasse.

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