Süddeutsche Zeitung

Prantls Blick:Der Erbfolgekrieg beginnt

Deutschland am Wahlsonntag. Merkels Zeit begann mit einem Biss, und sie endet mit einem Biss. Ein wenig Pathos zum Ende einer Ära.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Jeden Sonntag beschäftigt sich Heribert Prantl, Kolumnist und Autor der SZ, mit einem Thema, das in der kommenden Woche - und manchmal auch darüber hinaus - relevant ist. Hier können Sie "Prantls Blick" auch als wöchentlichen Newsletter bestellen - exklusiv mit seinen persönlichen Leseempfehlungen.

In Wien steht seit 1888 auf dem Maria-Theresien-Platz im 1. Gemeindebezirk das Denkmal für die Kaiserin Maria-Theresia. Die Fürstin aus dem Hause Habsburg übernahm 1740, als 27-Jährige, die Regierungsgeschäfte der Habsburger Monarchie und führte diese bis zu ihrem Tod im Jahr 1780. Angela Merkel, deutsche Bundeskanzlerin seit 2005, war wohl die mächtigste Frau seit dieser Kaiserin Maria-Theresia. Heute, mit der Bundestagswahl, endet die Merkel-Ära.

Das Merkel-Monument

Angela Merkel wird aber noch Kanzlerin bleiben, bis in ein paar Monaten der neue Bundestag ihren Nachfolger gewählt hat. Ob es eines Tages auf einem Angela-Merkel-Platz in Berlin ein Angela-Merkel-Denkmal geben wird? Die Zeiten für solche Monumente sind vorbei. In den Geschichtsbüchern wird sie keinen monumentalen, aber jedenfalls einen sehr wichtigen Platz haben - schon deshalb, weil sie dem Land 16 Jahre lang gezeigt hat, dass "Bundeskanzler" im Sinne des männlich formulierten Artikel 63 Grundgesetz eine Frau sein kann: Bundeskanzler im Sinne dieses Artikels 63 ist auch eine Bundeskanzlerin.

Mit aller Macht

Wenn sich nach dem heutigen Wahlsonntag die Koalitionsverhandlungen lange dahinziehen, wird Angela Merkel am Ende ihrer Regierungstage das Heft des Regierungshandelns länger in der Hand gehabt haben als jeder ihrer Vorgänger - länger als Adenauer, länger als Helmut Kohl. Ihre Kanzlerschaft hat dem Gleichheitssatz und der Gleichberechtigung womöglich mehr Kraft und mehr Schub verliehen, als neue Paragrafen es könnten und können. Es gibt Symbole, die Rechts- und Strahlkraft haben. Die Tatsache, dass eine Frau das Land 16 Jahre lang regiert hat, ist ein solches Symbol. Angela Merkel hat vor zwanzig Jahren die Macht mit aller Macht gewollt, sie hat sie sich geholt und sie hat sie 16 Jahre behalten.

Ist das Private politisch?

Es wird interessant sein zu erleben, wie eine wieder machtlose Merkel sich verhalten, was und wer sie sein wird. Es ist nicht einfach, unbefangen zu bleiben, wenn alle Blicke auf einem ruhen und alle Blicke auf einem lasten. Das kann nicht jeder. Angela Merkel konnte es als Kanzlerin, es schaute jedenfalls so aus. Sie stellte sich - in Vor-Corona-Zeiten - beim Fraktionssommerfest der CDU in die Schlange vor dem Bratwurststand, zog die Schultern ein wenig hoch, wie sie es oft macht, lächelte, redete mit jedem, nicht laut, nicht aufdringlich. Sie machte die Bratwurst nicht zum Nahbarkeits-Event. Sie liebte und liebt das Bodenständige, das Herzhafte, auch beim Essen. Aber sie zelebrierte diese Vorliebe nicht so wie Kohl den Saumagen zelebriert hat, den seine Gäste im Deidesheimer Hof essen mussten. Sie kokettiert mit ihren Liebhabereien auch nicht so, wie es Schröder als Kanzler mit seiner Currywurst gemacht hat und es als Altkanzler immer noch macht. Das Private ist bei Angela Merkel nicht politisch. Das Private ist das Private; sie schlachtet es nicht für die Politik aus. Das wird so bleiben. Sie wird, weil ihr die Hochkultur viel bedeutet, weiterhin alljährlich nach Bayreuth zu Wagner fahren; sie tat und tut es nicht der Bilder wegen.

Wenn die ganze Chose brennt

Sie mag Wagner, auch wenn das Theatralische eigentlich gar nicht zu ihr passt. Warum sie "Die Meistersinger" mag, kann ich mir noch vorstellen - weil die Politik der Wettsingerei in dieser Wagner-Oper nicht unähnlich ist; dort geht es ja darum, dass ein Newcomer die Regeln bricht und siegt. Das ist der Vita von Merkel nicht unähnlich, so ist sie CDU-Chefin und Kanzlerin geworden. Aber der "Ring" müsste ihr eigentlich schon deshalb suspekt sein, weil die Leitartikler so oft von einer politischen "Götterdämmerung" schreiben und in dieser Oper am Schluss die ganz Chose brennt. Aber sie kann die Chose einigermaßen gelassen beobachten. Bei Maria Theresia standen die österreichischen Erbfolgekriege am Anfang ihrer Herrschaft. Bei der Union beginnt der Erbfolgekrieg erst am Ende der Ära Merkel. Ob Armin Laschet der Nachfolger Merkels als Kanzler wird und Laschet der Nachnachfolger Merkels im CDU-Vorsitz bleibt und gegebenenfalls wie lange - das weiß noch niemand zu sagen.

Merkels Unergründlichkeiten

Richard Wagner gehört vielleicht zu den Unergründlichkeiten der Angela Merkel. Ansonsten ist und isst sie nah bei die Leut: Gern Kartoffelsuppe mit Würstchen, gern Buletten; Streuselkuchen mag sie auch; und wenn sie (selten genug) Zeit hatte, ging sie auch als Kanzlerin zum Einkaufen. Sie wird jetzt mehr Zeit haben. Und sie wird aber wohl auch, wie bisher, kein Buhei darum machen.

Angela Merkel hat Fehler gemacht, viele Fehler: Als CDU-Parteichefin, es war noch zu Kanzler Schröders Zeiten, wollte sie deutsche Soldaten in den Irak-Krieg schicken. Beim Atomausstieg schlug sie Volten. In der Eurokrise spielte sie, Schäuble folgend, die Rolle der Zuchtmeisterin in Europa. Die Fehler haben ihr lange nicht geschadet. Und: Sie hat immer Haltung gezeigt, auf der Bühne des CSU-Parteitags genauso wie auf der Bühne der Europäischen Union. Sie ist über die Alltagspolitikerin hinausgewachsen, ist in der Welt zur Personifizierung deutscher Zuverlässigkeit geworden. Sie ist Frau Staatsmann geworden, sie war, sie ist die erste deutsche Staatsfrau. Dieses kleine Pathos sei an diesem Wahlsonntag erlaubt.

Füttern, beißen, klagen

Kurz vor der Bundestagswahl, bei einem Besuch in ihrem bisherigen Wahlkreis, hat Merkel eine Erfahrung gemacht, von der ihr Vorgänger Helmut Kohl oft und klagend berichtet hat: Dass seine Hand, die gefüttert hat, von den Gefütterten gebissen wird. Helmut Kohl hat das über Männer wie Weizsäcker, Geißler und Blüm gesagt, über Politiker also, die er einmal gefördert hatte, die ihn dann begleitet und gestützt hatten, ihm aber nicht so bedingungslos treu ergeben waren, wie er das erwartet und verlangte. "Verräter" waren das dann für ihn. Merkel konnte das nicht passieren; Männer hat sie nämlich nicht gefüttert. Frauen schon eher. Die haben aber dann nicht gebissen. In die Hand gebissen hat sie nun, ganz am Schluss ihrer politischen Laufbahn, ein Papagei im Vogelpark Marlow, dem sie Futter im Pappbecher hingehalten hatte. Und so teilt Angela Merkel am Schluss ihrer Bundeskanzler-Zeit noch eine Erfahrung mit Helmut Kohl, dem einst sie (mit ihrem berühmten, bösen FAZ-Artikel vom Dezember 1999) in die Hand gebissen hat. Das war der Beginn ihrer Karriere. Ein Biss steht am Anfang, ein Biss am Ende der Merkel-Zeit.

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