Prantls Blick:Hilfe zum Suizid muss straffrei sein

Sterbehilfe

Ein 83 Jahre alter Mann sitzt in seiner Wohnung. Am Ende seines Lebens möchte er sich die Option zum Suicid offenhalten.

(Foto: dpa)

Wenn ein Arzt seinem schwer leidenden Patienten Suizidhilfe leistet, steht er mit einem Bein im Gefängnis. Das ist unerträglich. Die Verfassungsrichter müssen korrigierend eingreifen.

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Deutschland ist ein sicheres Land. Aber kaum irgendwo anders gibt es so viel rechtliche Unsicherheit über das Sterben wie hier. Todkranke finden in Deutschland kaum einen Arzt, der ihnen beim Suizid hilft: Wer darf wann und warum sterben? Und wer darf ihm wann und warum und wie dabei helfen? Was ist am Lebensende wem erlaubt und unter welchen Voraussetzungen? Gibt es die Freiheit, das eigene Sterben zu gestalten?

Nicht einmal die Palliativärzte, deren Beruf und Berufung es ist, sterbenskranke und sterbende Menschen zu betreuen, wissen es genau. Das Sterbendürfen ist zu einer juristischen Kunst geworden. Am Sterbebett stehen seltsame Paragrafen. Wenn das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe jetzt nicht Klarheit schafft, wird die Rechtsanwaltskammer noch den "Fachanwalt für Sterberecht" einführen müssen.

Das höchste Gericht verhandelt am Dienstag und Mittwoch dieser Woche die Verfassungsbeschwerden gegen den neuen Paragrafen 217 Strafgesetzbuch, der seit 2015 die "geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung" bestraft. Geklagt haben Vereine mit Sitz in Deutschland und in der Schweiz, die Sterbehilfe anbieten; geklagt haben schwer erkrankte Menschen, die ihr Leben mit Hilfe eines solchen Vereins beenden möchten; und geklagt haben Ärzte, die der Ansicht sind, dass der neue Paragraf eine am Wohl des Patienten orientierte Behandlung gefährde.

Das Sterben ist derzeit großes Thema bei den höchsten Gerichten

Es wird, so muss man sagen, viel gestorben derzeit an den höchsten deutschen Gerichten; die höchsten Richter können und dürfen den Grundfragen, die sich am Ende eines Lebens stellen, nicht mehr ausweichen ­- schon deswegen nicht, weil der Gesetzgeber diese Fragen so unbefriedigend und unklar beantwortet hat. Weil der Gesetzgeber versagt, ist es höchste Zeit für die höchsten Gerichte. Es ist ja die Aufgabe der Justiz, Sicherheit ins Leben und ins Sterben zu bringen.

Erst vor Kurzem hatte der Bundesgerichtshof darüber zu entscheiden, ob eine künstliche Lebensverlängerung einen Schaden darstellen kann, der den Arzt schadenersatzpflichtig macht; die Richter haben das abgelehnt. Nun muss das Bundesverfassungsgericht in anderer Sache entscheiden, ob und welche Sterbehilfe geleistet werden darf.

Der Strafparagraf 217 wurde 2015 neu eingeführt, um dem "Sterbehilfeverein Deutschland" des ehemaligen Hamburger Justizsenators Roger Kusch das Wasser abzugraben. Dieser Paragraf 217 hat die unsichere Rechtslage am Lebensende - so der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio - noch verschlimmert. Bis 2015 war die Beihilfe zum Suizid straflos.

Der neue Strafparagraf 217 stellt aber nun die "geschäftsmäßige" Förderung der Selbsttötung unter Strafe, mit bis zu drei Jahren Gefängnis. Das klingt erst einmal nicht so schlimm, ist es aber - weil diese Formulierung auch den Behandlungsabbruch, die indirekte Sterbehilfe und die Palliativmedizin erfassen kann.

"Geschäftsmäßig" ist nämlich ein sehr weiter und sehr unbestimmter rechtlicher Begriff, der (anders als die Gewerbsmäßigkeit) keine Gewinnerzielungsabsicht erfordert. Nach der Gesetzesbegründung zu Paragraf 217 handelt schon derjenige geschäftsmäßig und damit strafbar, der eine Handlung zum ersten Mal begeht, wenn dies "den Beginn einer auf Fortsetzung angelegten Tätigkeit" darstellt, wie das nun einmal bei jedem ärztlichen Handeln der Fall ist.

Sterbehilfe: Ja. Tötung auf Verlangen: Nein.

Ein Arzt, der seinem unerträglich leidenden Patienten Suizidhilfe leistet, steht also nach geltendem Recht mit einem Bein im Gefängnis; und jeder Hospiz- und Palliativmediziner ist zumindest schon mit einem Zeh in der Zelle, einfach deswegen, weil er regelmäßig mit Sterbenden zu tun hat. Das ist ein unerträglicher Zustand. Es ist unerträglich, dass ein Arzt, der dem Schwerstkranken das Sterben erträglich macht, das Strafrecht fürchten muss. Das Bundesverfassungsgericht muss da korrigierend eingreifen. Es geht darum, dem neuen Paragrafen den Stachel zu ziehen; es geht darum, dass einem Patienten in Fällen extremer Sterbensnot geholfen werden darf.

Es geht nicht um Tötung auf Verlangen. Tötung auf Verlangen - das heißt: Der Arzt tötet seinen Patienten selbst, mit eigener Hand, auf Bitten dieses Patienten hin. Das darf nicht sein. Das wäre nicht mehr Hilfe, sondern Überwältigung. Die darf nicht sein. Es darf nur darum gehen, dass dem Wunsch eines schwerstkranken Menschen, von seiner eigenen Hand sterben zu können, entsprochen wird. Es geht um die Selbstbestimmung über den eigenen Tod.

Reden wir über diese Selbstbestimmung: "Höchstpersönlich" ist das intimste juristische Wort, das es da gibt; der Respekt des Rechts vor dem Willen des Menschen kommt darin am schönsten zum Ausdruck.

Notwehr, wenn der eigene Körper zum Feind wird

Höchstpersönlich sind diejenigen Rechte des Menschen, die ganz eng an ihn gebunden sind. In diese höchstpersönlichen Angelegenheiten soll der Staat sich tunlichst nicht einmischen; das Recht soll hier nur darauf achten, dass der existentielle Wille des Menschen auch wirklich rechtliche Geltung hat. Das nennt man Selbstbestimmungsrecht.

Es wäre höchst sonderbar, wenn dieses Recht ausgerechnet im Sterben weniger gelten würde als sonst. Der klare Wunsch eines Menschen, in elender Lage sterben zu dürfen, ist ein Höchstpersönlichkeitsrecht - das zum Beispiel in seiner Patientenverfügung zum Ausdruck kommen kann. Sie muss geachtet und beachtet werden. Beachtet und geachtet werden muss auch der Wunsch des Menschen, den Sterbeweg abzukürzen oder auch sein Leben, das er selbst als unwürdig betrachtet, zu beenden - weil er seine Hilflosigkeit als einen beschämenden Zustand empfindet. Es geht vielen Menschen um das Gefühl der Kontrolle über ihre letzte Lebensphase, um die Möglichkeit letzter Notwehr, einer Notwehr gegen sich selbst, wenn der eigene Körper zum Feind wird. Das Recht darf sich über diesen letzten Wunsch nicht erheben.

Dem lieben Gott nicht ins Handwerk pfuschen?

Soll, darf, muss man den Menschen, die an einer brutalen Form von Krebs leiden oder ungeheure Angst vor dem gewindelten Ende haben, mit dem lieben Gott kommen, dem sie mit einem Suizid nicht ins Handwerk pfuschen dürften? So eine Mahnung ist nicht hilfreich, erst recht nicht für den, der an Gott und das ewige Leben nicht glauben kann. Es darf sich zwar kein gesellschaftlicher und kein ökonomischer Druck zum Frühableben entwickeln. Es darf aber auch niemand zum Weiterleben gezwungen werden, der partout und in freier Entscheidung nicht mehr will. Eine gute Hilfe für Leidende und Sterbende ist liebevolle Zuwendung, ärztliche und pflegende Hilfe. Dazu gehört die Hilfe beim Sterben, in Ausnahmefällen auch die Hilfe zum Sterben.

Carl Spitzweg, der Maler der Spätromantik und der Idylle, hat in einem Vers geschildert, wie er sich sein Sterben wünscht: Er wollte sanft im Schlafe sterben: "Oft denk ich an den Tod, den herben / Und wie am End' ich's ausmach?! / Ganz sanft im Schlafe möchte ich sterben / Und tot sein, wenn ich aufwach." Sein Wunsch ging in Erfüllung: Man fand Spitzweg, 77-jährig, tot in seinem Lieblingslehnstuhl in seiner Münchner Wohnung. Recht und Gesetz sollten einen solchen Wunsch nicht mit Strafrechtsparagrafen beschießen.

Es ist dies ein Wunsch, der in die Karwoche passt. Ich wünsche Ihnen gute Vor-Ostertage, ich wünsche Ihnen ein wunderbares Osterfest - und viel Freude am Brauchtum, das zu diesen Tagen gehört.

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"Es ist unerträglich, dass ein Arzt, der dem Schwerstkranken das Sterben erträglich macht, das Strafrecht fürchten muss", kommentiert Heribert Prantl. "Es geht um die Selbstbestimmung über den eigenen Tod."

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