Prantls Blick:Die zwei Seehofers

Bundestag

Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) spricht im Bundestag.

(Foto: dpa)

Gibt es einen Dr. Jekyll und einen Mr. Hyde an der Spitze des Bundesinnenministeriums? Die Zukunft des Kirchenasyls wird es zeigen.

Die politische Wochenvorschau von Heribert Prantl

Was ist Bundesinnenminister Horst Seehofer: ein Rätsel? Ein Chamäleon? Ein reuiger Sünder? Gibt es womöglich nicht nur einen, sondern zwei Seehofer - einen Dr. Jekyll und einen Mr. Hyde? Seehofer ist in der vergangenen Woche damit aufgefallen, dass er auf einmal über Flüchtlinge und über deren Rettung aus Seenot ganz anders redete als bisher, nämlich humaner und christlicher.

Das war eine Kehrtwende, zumindest verbal. Seehofers Kennzeichen war bisher sein Wüten gegen die Kanzlerin und seine Hysterie in der Flüchtlingspolitik; es war dies eine Beihilfe zum Wahlkampf der AfD. Hätte Seehofer das, was er jetzt sagt, schon früher gesagt, nämlich Italien bei der Aufnahme von Bootsflüchtlingen zu helfen - es wäre für alle besser gewesen: für Europa, für Italien, für die Bundesregierung und für die Stimmung in Deutschland.

Prüfstein für Seehofers Wandlung wird das Kirchenasyl sein

Nun ist diese politische Wochenvorschau aber kein Blick in die Vergangenheit; sie will vielmehr einen Blick in die Zukunft versuchen. Und hier stellt sich die Frage, wie weit gegebenenfalls die Wandlung des Ministers Seehofer geht. Prüfstein dafür wird das Kirchenasyl sein. Wird Seehofer das ihm unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auffordern, die bisherige Unerbittlichkeit zu beenden und zu einer konzilianten und kooperativen Zusammenarbeit mit den Kirchen zurückzukehren? Es wäre wünschenswert.

Es ist nämlich schon makaber, wenn ausgerechnet in einer Zeit, in der ein CSU-Mann Bundesinnenminister ist und ein von ihm berufener CSU-Mann Präsident des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge, wenn ausgerechnet in einer solchen Zeit Pfarrer vor den Strafrichter gezerrt werden, weil sie das Evangelium ernst nehmen: "Ich war fremd, und ihr habt mich aufgenommen." So steht es im berühmten 25. Kapitel des Matthäus-Evangeliums. Pfarrer Ulrich Gampert hat sich daran gehalten - mit unangenehmen staatlichen Folgen.

Pfarrer Gampert ist ein ruhiger und zurückhaltender Mann, der sich mit seiner Frau Marlies die evangelische Pfarrstelle im bayerischen Immenstadt teilt. Er gewährte mit seiner Kirchengemeinde dem damals 22-jährigen Reza Jafari Kirchenasyl - um den Staat auf diese Weise zu bitten und zu bewegen, den Fall dieses afghanischen Asylsuchenden noch einmal zu überprüfen. Reza Jafari, der seit vier Jahren in Deutschland lebt, gut Deutsch spricht und einen Ausbildungsplatz hat, sollte nach Afghanistan abgeschoben werden, in ein ihm fremdes Land; er war mit seiner Familie vom vierten Lebensjahr an in Iran aufgewachsen.

Christliche Nächstenliebe und die Quittung des Staates

Der Pfarrer tat das, was für ihn eine Pflicht der christlichen Nächstenliebe war, und erhielt vom Staat die Quittung: einen Strafbefehl mit 4000 Euro Geldstrafe (40 Tagessätze zu je 100 Euro) wegen "Beihilfe zum unerlaubten Aufenthalt". Der Pfarrer legte Einspruch ein, musste sich einer Strafverhandlung stellen.

Zum ersten Mal stand ein Pfarrer in Deutschland wegen Kirchenasyl vor Gericht - Amtsgericht Sonthofen. Das Verfahren wurde dort in der vergangenen Woche in öffentlicher Sitzung eingestellt, freilich nur gegen eine Geldbuße von 3000 Euro und nach richterlichen Darlegungen, die ihm eine "Schuld" zuweisen.

Seehofer kann seine Hände nicht in Unschuld waschen

Nun ist Seehofer weder für die Staatsanwaltschaft noch für die Gerichte zuständig; er kann auch auf die Unabhängigkeit der Richter verweisen. Aber seine Hände in Unschuld waschen kann er trotzdem nicht: Er ist verantwortlich für die Härte, mit der das ihm unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge seit einiger Zeit das Kirchenasyl behandelt. Das Bundesamt kooperiert, anders als früher, nicht mehr mit den Kirchen. Es pflastert vielmehr der Staatsanwaltschaft und den Gerichten den Weg, der zur Bestrafung von Pfarrern führt.

Das verdutzt umso mehr, weil Seehofer vor zwei Jahren, als er zu Besuch auf der Allgäuer Festwoche in Kempten war (das ist 20 Kilometer von Immenstadt und der Pfarrstelle von Pfarrer Gampert entfernt), sich hinter das Kirchenasyl gestellt hatte. "Rückendeckung für Pfarrer", schrieb die Lokalzeitung damals, "Seehofer zeigt sich bei Kirchenasyl für Flüchtlinge human". Von dieser Humanität war aber dann nichts zu spüren.

Härtefälle? Es gibt sie nicht mehr

Seit März 2018 ist Horst Seehofer Bundesinnenminister und seitdem wird der Streit um das Kirchenasyl scharf und schärfer. Seehofer hat im Juni 2018 einen Mann zum Präsidenten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge gemacht, der die christliche Barmherzigkeit offenbar nicht für eine Tugend, sondern für einen Frevel hält. Hans-Eckhard Sommer heißt der Mann, er war Büroleiter des Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, persönlicher Referent des Ministerpräsidenten Günther Beckstein, dann Leiter des Sachgebiets Ausländer- und Asylrecht im bayerischen Innenministerium. Sommer macht den Kirchengemeinden, die einen Flüchtling bei sich aufnehmen, das Leben so schwer, wie es nur irgend geht. Fast alle beantragten Kirchenasyle werden abgelehnt. Härtefälle? Es gibt sie nicht mehr. Um sie zu erkennen, so der Präsident und sein Amt, brauche man keine christliche Hilfe.

Die Härte beim Kirchenasyl ist ein Symbol, der staatliche Umgang mit diesen Fällen, es waren nach dem Stand 12. August derzeit 439 Kirchenasyle deutschlandweit, soll abschrecken. Eine Vereinbarung zwischen den Kirchen und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2015, in der das Amt das Kirchenasyl als christliche Tradition akzeptierte, wird von diesem nicht mehr beachtet. Auf den Sachvortrag und die Bitten der Kirchen antwortet das Bundesamt nur noch mit abwehrenden Textbausteinen und dem Vorwurf, die Gemeinden würden die Dossiers nicht sorgfältig erstellen.

Der Schikane folgt das Strafrecht

Das ist Desinteresse und Schikane. Und der Schikane folgt dann das Strafrecht. Christliche Politik, wie CSU und CDU sie im Namen führen, ist das nicht. Humane Politik, wie Seehofer sie neuerdings wieder verspricht, ist das auch nicht. Es ist eher eine Politik, für die Hans-Georg Maaßen stand und steht, der frühere Chef des Bundesverfassungsschutzes, den Seehofer in den Ruhestand geschickt hat. Maaßen hat seit jeher wild gegen das Kirchenasyl agitiert und von einer "Abdankung des Rechtsstaats zugunsten der Willkür" gesprochen. Deswegen gehört er jetzt auch der Werteunion an.

Die nächsten Wochen werden zeigen, welcher Seehofer der wahre Seehofer ist.

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