Passagierdaten:Europas Reisefreiheit darf nicht verraten werden

Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn

Fahrkartenautomaten der Deutschen Bahn.

(Foto: dpa)

Sicherheitspolitiker wollen alles: vom DNA-Profil bis zur Erfassung des gesamten Reiseverkehrs. Das verletzt die Bürgerrechte. Und im Ernstfall, wie in Frankfurt, schützt es Opfer nicht.

Kolumne von Heribert Prantl

Reden Sie nicht so laut vom Datenschutz! Sie machen sich verdächtig. Beharren Sie nicht so heftig auf Ihrer Privat- und Intimsphäre! Sie werden sonst als Außenseiter registriert. Empören Sie sich nicht so, wenn Ihre Telefonverbindungen gespeichert und Ihre Computer durchsucht werden! Und die umfassende Untersuchung Ihrer DNA? Es tut doch nicht weh. Man meint es gut mit Ihnen! Weil das so ist, macht man sich so viel Mühe mit Ihnen, weil das so ist, überlegt sich der Sicherheitsapparat, was er, zu Ihrer eigenen Sicherheit, noch so alles kontrollieren könnte.

Seit einem Jahr machen sich Fluggesellschaften und Polizei schon viel Arbeit mit jedem Passagier, der in der EU auf einem Flughafen startet oder landet. Es wird an die Polizei gemeldet, wie und wann und mit wem und wohin er reist, wo er sein Ticket gekauft und wie er es bezahlt hat. Ja, das ist die Rasterfahndung am Himmel! Aber so sollen Terroristen aufgespürt werden. Und was am Himmel gut ist, das kann doch auf Erden nicht schlecht sein. Also planen die Sicherheitspolitiker der EU, dass künftig nicht nur die Daten der Flugpassagiere, sondern auch die Daten der Kunden von Bahn-, Fernbus- und Schiffsreisenden an die Sicherheitsbehörden weitergemeldet werden müssen.

Ja, das dient Ihrem Schutz, liebe Leserinnen und Leser. Praktische Gründe sprechen dagegen? Gewiss. Heute ist es noch so, dass Sie jederzeit und anonym in den Zug steigen können. Aber das kann man ja ändern, das muss nicht so bleiben. Da können Sie sich dann die Tickets nicht mehr einfach unerkannt am Automaten oder am Schalter kaufen. Da müssen Sie den Personalausweis vorlegen, da werden Sie registriert; aber der Ausweis ist ja schnell gescannt. Da können Sie dann freilich nicht mehr einfach jeden Zug benutzen, der Ihnen gerade passt, sondern nur noch den, den sie gebucht haben und für den Sie registriert sind. So haben Sie sich, meinen Sie, die Reisefreiheit in Europa nicht vorgestellt? Mag sein, aber auf diese Weise wird ja die Freiheit als solche geschützt. Da müssen Sie eben ein bisschen Unbequemlichkeit auf sich nehmen ...

So reden Sicherheitspolitiker, EU-weit. Christine Lambrecht (SPD), die neue Bundesjustizministerin, hat diese Überlegungen kritisiert und es als großen Wert gelobt, "dass wir flexibel reisen können, meist ohne Zugbindung und ohne namensgebundene Tickets". Und sie meint: "Eine Speicherung der Ticketdaten wäre damit gar nicht möglich." Wenn es nur so bliebe! In Deutschland haben sich in den vergangenen Jahrzehnten fast immer die Innen-und Polizeiminister durchgesetzt. Pläne, die einst als undurchsetzbarer Unsinn galten, waren dann auf einmal Gesetz. In der Politik der inneren Sicherheit ist es so: Der Quatsch von heute ist das Gesetz von morgen.

Die neueren Polizei-, Sicherheits- und Strafgesetze sind voll von Paragrafen, die einmal als unmöglich galten. Oft wurden sie, weil man sie für bedenklich hielt, nur befristet in Kraft gesetzt. Aber dann wurde die Befristung immer wieder verlängert, bis aus dem bedenklichen Gesetz eine Alltäglichkeit wurde. Es wird heute heimlich kontrolliert, abgehört und online-durchsucht, was das Zeug hält. Die Kürzel "IS" und "Terror" funktionieren wie Universalschlüssel, welche die Türen der Gesetzgebung öffnen; es werden damit auch Sicherheitsschlösser zu den Grundrechten aufgesperrt. Und zumal nach monströsen Verbrechen - wie der tödlichen Attacke auf den achtjährigen Jungen, der in Frankfurt vor den Zug gestoßen wurde - wächst die Sehnsucht danach, irgendein Gegenmittel zu finden. Aber die Videokameras wären nicht heruntergesprungen, um den Jungen zu retten; und der Täter wurde ohne Fahrgasterfassung gefasst.

Politik zum "Schutz der Bürger" bedeutet oft: Der Quatsch von heute ist das Gesetz von morgen

Wer nichts zu verbergen hat, heißt es gern, habe doch nichts zu befürchten - nicht bei der immer umfassenderen DNA-Fahndung, nicht bei der Observierung von Fahr- und Fluggastdaten, nicht bei der Überwachung des öffentlichen Raums mit Kameras, nicht beim biometrischen Personalausweis, nicht bei der Überwachung von Telefonen und Computern, nicht bei der Rasterfahndung, nicht bei der Erstellung von Bewegungsprofilen, nicht bei der Vorratsdatenspeicherung, nicht bei der Abfrage von privaten Kontodaten.

Gewiss: Es ist nicht automatisch derjenige ein großer Rechtsstaatler, der neue Vorbeugungs- und Aufklärungsmethoden grundsätzlich für Unrecht hält. Von einer einzelnen Videokamera geht keine Gefahr aus; von einer Speichelprobe, die man zur Aufklärung eines Verbrechens abgeben soll, auch nicht. Wenn aber der Mensch überall mit Kameras beobachtet wird, wenn sie zusammengeschaltet, wenn die Netze der Erfassung immer dichter werden - dann ergibt sich die gefährliche Totalität aus der Summe.

Zwar mahnt das Verfassungsgericht in Karlsruhe den Staat immer eindringlicher, Freiheitsrechte und Privatsphäre besser zu achten; gespeicherte Daten dürften nicht "die Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits- und Bewegungsprofile" praktisch jeden Bürgers möglich machen. Genau das aber ist das Ziel der neuen Datensammelnetze, das ist das Ziel der Erfassung des gesamten Reiseverkehrs.

Wird das Europäische Parlament einem solchen Wahnsinnsprojekt zustimmen? Wird es zulassen, dass die Reisefreiheit in Europa auf so perfide Weise verraten wird? Man kann es sich nicht vorstellen. Aber man konnte es sich auch nicht vorstellen, dass das Parlament der umfassenden Speicherung und Weitergabe der Fluggastdaten zustimmt, wie es die EU-Richtlinie heute vorsieht. Jahrelang hatte sich das Parlament dagegen gesperrt; es wollte nicht, dass US-Überwachungsmethoden in Deutschland Einzug halten. Aber dann kamen die Pariser Anschläge vom Januar 2015 - unter anderem auf die Redaktion der Satirezeitschrift Charlie Hebdo. Diese Anschläge wären mit der Fluggastdatensammelrichtlinie nicht verhindert worden. Gleichwohl führte das Entsetzen über die Anschläge dazu, dass das EU-Parlament die Bedenken gegen diese Datensammlung wegwischte. Die Richtlinie konnte in Kraft treten, die einschlägigen nationalen Gesetze auch.

So wurde der Terrorist zum Gesetzgeber. Das darf sich nicht wiederholen. Anonymität und Freiheit des Reisens dürfen nicht dem Terrorismus geopfert werden.

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Kolumne von Heribert Prantl

Heribert Prantl ist seit 1. März 2019 Kolumnist und ständiger Autor der Süddeutschen Zeitung. Zuvor leitete er das Ressort Meinung sowie die Innenpolitik und war Mitglied der Chefredaktion. Alle seine Kolumnen finden Sie hier.

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