Praktiken der US-Geheimdienste:Wenn Freunde sich fremd werden

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Die US-Geheimdienste machen auch vor Regierungen nicht halt, das ist eigentlich schon seit Juni klar. Die Affäre um das Kanzler-Handy ist nur logische Konsequenz. Wieso geht Amerika mit engen Verbündeten so rücksichtslos um? Das fragen sich inzwischen selbst US-Politiker.

Von Oliver Klasen

Vielleicht muss man es mit Thomas de Maizière halten, dem deutschen Verteidigungsminister, der es zuletzt mit stoischer Gelassenheit geschafft hat, die Affäre um die nicht zulassungsfähige Aufklärungsdrohne Euro Hawk auszusitzen. Gefragt nach einer Einschätzung zu der Nachricht, dass das Privathandy der Kanzlerin möglicherweise über Jahre vom US-Geheimdienst NSA abgehört wurde, antwortet de Maizière: "Ich rechne seit Jahren damit, dass mein Handy abgehört wird. Allerdings habe ich nicht mit den Amerikanern gerechnet".

Jede Illusion verloren hat dagegen Vicente Fox, der ehemalige Präsident Mexikos. Dessen Nachfolger Felipe Calderón und Enrique Peña Nieto wurden offenbar auch von der NSA durchleuchtet, doch Fox, der während seiner Amtszeit von 2000 bis 2006 eng mit dem damaligen US-Präsidenten George W. Bush kooperiert hat, sagt dazu nur: "Wir werden jeden Tag bespitzelt, alle Bürger, überall auf der Welt".

So what? Was regt ihr euch auf? Geheimdienste horchen, schnüffeln und spähen nun mal, auch bei befreundeten Nationen. Naiv zu glauben, dass die NSA da vor der deutschen Kanzlerin Halt macht.

Zynismus, so schreibt die Washington Post auf ihrer Meinungsseite, ist offenbar der Ansatz, der am besten greift, um die Praktiken der NSA zu verstehen. Die andere Antwort, die von Seiten der US-Regierung standardmäßig geliefert wird - oft in wohlformulierten und wachsweichen Sätzen von Obamas Sprecher Jay Carney - lautet wie folgt: Die Überwachung ist nötig, um den Terrorismus zu bekämpfen. Das geschieht in Einklang mit den Geheimdiensten der befreundeten Staaten und ist auch in deren Interesse.

Beschwichtigung von Obama

Auch wenn sich die Überwachung des Kanzlerhandys nur mit einigem guten Willen unter Terrorismusbekämpfung subsumieren lässt, Carneys Statement zur Causa Merkel ist in bekanntem Duktus gehalten: "Die Vereinigten Staaten schätzen die Zusammenarbeit mit Deutschland in einer Reihe von Sicherheitsfragen sehr".

In diesem Fall reichte Carneys Erklärung indes nicht mehr, um den sich abzeichnenden diplomatischen Skandal abzuwenden. Obama persönlich musste zum Hörer greifen - und beschwichtigen. In einem Telefonat habe der Präsident versichert, "dass die Vereinigten Staaten die Kommunikation von Kanzlerin Merkel nicht überwachen und nicht überwachen werden", hieß es in einer offiziellen Mitteilung des Weißen Hauses, die vor allem deshalb interessant ist, weil darin nichts über die Praktiken in der Vergangenheit gesagt wird.

US-Erklärungen zum NSA-Skandal
:Wohlformuliert und wachsweich

Ob Brasilien, Mexiko, Frankreich oder jetzt Deutschland: Es ist nicht das erste Mal, dass sich das Weiße Haus vor seinen Partnern für die Praktiken der eigenen Geheimdienste rechtfertigen muss. Eine Übersicht.

Es war bereits das zweite solche Telefonat Obamas innerhalb von 48 Stunden. Erst am Montag hatte er seinen französischen Amtskollegen François Hollande angerufen, der erbost war über Enthüllungen der Zeitung Le Monde, denen zufolge die NSA innerhalb eines Monats mehr als 70 Millionen Telefonate französischer Bürger überwacht haben soll.

Deutschland, Frankreich, davor ähnliche Fälle in Mexiko und Brasilien, bei denen E-Mails, SMS und Telefonate von Präsidenten, Regierungschefs und hohen Beamten im großen Stil gescannt und erfasst worden sind. Mittlerweile kommen - infolge der Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden - fast im Wochentakt weitere dubiose Machenschaften des NSA an die Öffentlichkeit.

Wieso geht Amerika selbst mit engen Verbündeten derart rücksichtslos um? Das fragen sich nicht nur die Kritiker in den Partnerländern, sondern auch Politiker und Experten in den USA: "Ich würde hoffen, dass die NSA sich nicht auf Aktivitäten eingelassen hat, die unsere bilateralen Beziehungen mit Deutschland untergraben würden", sagt zum Beispiel der Republikaner Jim Gerlach, Chef einer deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe im US-Repräsentantenhaus.

Die ungewohnt scharfe öffentliche Reaktion auf das vermeintlich überwachte Kanzler-Handy deute auf Merkels Verärgerung hin, glaubt Steve Szabo, Direktor der Washingtoner Transatlantic Academy. "Ich denke, die Beziehung zwischen ihr und Obama wird beschädigt sein", sagt der Institutschef.

In der Tat sind die Reaktionen aus Deutschland diesmal deutlich heftiger als kurz nach Beginn der Snowden-Affäre im Juni. Zwar war schon damals klar, dass die US-Dienste die Kommunikationen deutscher Bürger sehr umfassend überwachen und auch die "Bundesregierung ausforschen, wohl bis hinauf zur Kanzlerin", wie es in einem Spiegel-Artikel hieß.

Die Reaktion der offiziellen Stellen in Deutschland fiel damals allerdings relativ moderat aus: Innenminister Hans-Peter Friedrich sagte, er gehe davon aus, dass "US-Sicherheitsbehörden unsere Entscheidungsträger nicht ausforschen". Die Kanzlerin äußerte sich ein paar Tage später fast wortgleich, und für Kanzleramtsminister Ronald Pofalla waren die Vorwürfe in der NSA-Affäre sogar "vom Tisch".

Völlig anders jetzt, wo es um das persönliche Handy der Kanzlerin geht, von der bekannt ist, dass sie sehr gerne und ausgiebig via SMS kommuniziert. Nun ist jedem bewusst, dass die NSA offenbar bis in den innersten Zirkel der deutschen Regierung vorgedrungen ist und auch dort herumfuhrwerkt, wo man es bisher zwar nicht für unmöglich, aber aus Rücksicht auf diplomatische Belange für unwahrscheinlich hielt.

Bundesanwaltschaft beobachtet

Regierungssprecher Steffen Seibert spricht von einem "schweren Vertrauensbruch", Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sieht "sämtliche Dimensionen gesprengt", Außenminister Guido Westerwelle bestellt den US-Botschafter zum Rapport, sogar die Bundesanwaltschaft schaltet sich ein und will prüfen, ob eine geheimdienstliche Agententätigkeit zu Lasten Deutschlands vorliegt. Ähnlich harsch hatte im September Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff reagiert. Sie sagte eine Reise nach Washington kurzerhand ab.

MeinungMögliche US-Überwachung von Merkels Handy
:Größter anzunehmender Affront

Ihr Handy ist ihre Schaltzentrale: Ein Angriff auf das Telefon Angela Merkels wäre eine Attacke auf ihr politisches Herz. Falls die US-Geheimdienste sie tatsächlich abgehört haben, bekäme die NSA-Affäre eine neue Dimension. Doch die Kanzlerin muss sich auch Vorwürfe gefallen lassen. Denn sie und ihre Minister haben sich in der Affäre bisher durch Abwiegeln hervorgetan.

Ein Kommentar von Robert Roßmann, Berlin

Angesichts dessen stellt sich für die USA die Frage, inwiefern die negativen Folgen der Geheimdienst-Operationen den Nutzen noch rechtfertigen, den die Spähaktionen im Einzelfall haben mögen. "Was immer aus dem E-Mails von Frau Rousseff herausgefischt wurde, es scheint unwahrscheinlich, dass es den Ärger wert ist", schreibt der Washington Post-Kommentator.

Aus dem Weißen Haus kommen nun, zumindest rhetorisch, Signale eines zaghaften Kurswechsels. Man werde "die Art, wie wir Informationen sammeln, überdenken", um die Sicherheitsinteressen und die Bedenken beim Datenschutz "angemessen" in Einklang zu bringen, sagte Obamas Sprecher Carney.

Für alle, die sich um den Zustand des transatlantischen Bündnisses sorgen, bleibt zu hoffen, dass hinter Carneys Worten diesmal mehr Substanz steckt als sonst.

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