Prag und der EU-Vertrag:"Klaus will im Zentrum von allem sein"

Tschechiens Vizepremier Alexandr Vondra über die Ratifizierung des EU-Vertrags in Prag, die Rolle von Präsident Klaus und was das mit der Apfelernte zu tun hat.

Klaus Brill

SZ: Die Zukunft der EU ist an diesem Mittwoch in der Hand einiger Senatoren der Partei ODS im tschechischen Senat. Sie sind selber ein ODS-Senator. Wie werden Sie abstimmen?

Prag und der EU-Vertrag: Tschechiens Vizepremier Alexandr Vondra glaubt, dass sein Land den Lissabonner Vertrag noch vor Deutschland ratifiziert.

Tschechiens Vizepremier Alexandr Vondra glaubt, dass sein Land den Lissabonner Vertrag noch vor Deutschland ratifiziert.

(Foto: Foto: AFP)

Alexandr Vondra: Mit Ja, Ja zum Lissabonner Vertrag. Ich habe in der Kabinettssitzung auch mit Ja gestimmt.

SZ: Was werden Ihre Kollegen tun? Am Ende hängt vielleicht alles nur von dreien oder vieren ab.

Vondra: Wir hatten eine Fraktionssitzung vor zwei Wochen. Wir haben es den Senatoren freigestellt, abzustimmen, wie sie wollen. Seither zähle ich die Stimmen und bin zuversichtlich, dass es genug sind. Wir haben ein solides Fußballteam, sogar einige Leute auf der Ersatzbank.

SZ: Die Lage ist kompliziert. Zum einen ist die Tschechische Republik das letzte Land, das über den Lissabonner Vertrag im Parlament entscheidet . . .

Vondra: Wir sind nicht die Letzten. Es gibt auch Länder wie Deutschland, wo der Prozess noch nicht beendet ist. Mit viel Glück werden wir Deutschland am Mittwoch überholen. Aber das ist kein Rennen. Man sollte die Länder nicht beurteilen nach dem Zeitpunkt ihrer Abstimmung. Das ist ein Vertrag, der Auswirkungen auf viele Dinge haben wird. Alle Ratifizierungen der früheren EU-Verträge - Rom, Maastricht, Amsterdam - haben zwei Jahre gebraucht.

SZ: Aber der Zeitplan war ein anderer. Alles sollte Ende 2008 fertig sein, vor der tschechischen EU-Präsidentschaft.

Vondra: Wir hatten einfach nicht genug Stimmen beisammen. Ein Nein zu riskieren, hätte keinen Sinn gehabt. Eine Präsidentschaft ist eine Angelegenheit von sechs Monaten, aber dieser Vertrag soll für die nächsten 20 Jahre stehen. Wenn man vor der Erntezeit die Äpfel pflückt, sind sie sauer. Alles hat seine Zeit. Wenn man sie später erntet, sind sie süß.

SZ: Sie stehen vor mehreren Herausforderungen: erstens der Lissabonner Vertrag, zweitens die EU-Präsidentschaft, dann der Sturz der Regierung im Parlament. Ein weiteres Problem ist die besondere Rolle von Präsident Vaclav Klaus.

Vondra: Sie müssen den Präsidenten fragen, ob er den Vertrag unterzeichnet. Es wird seine Verantwortung sein.

SZ: Was stand hinter dem Sturz der Regierung?

Vondra: Es war eine Koinzidenz mehrerer Entwicklungen und eine Art Kettenreaktion. Erstens die Unfähigkeit der Grünen, ihre Partei unter Kontrolle zu halten; zwei der sechs Abgeordneten wurden vor der Abstimmung aus der Partei ausgeschlossen. Wir hatten unsere Probleme mit dem Abgeordneten Tlusty, aber wir haben keine solchen Maßnahmen ergriffen, bevor er gegen die Regierung stimmte.

Zweitens: Der sozialdemokratische Oppositionsführer Jiri Paroubek hat mit Zündhölzern gespielt, und wenn man mit Zündhölzern spielt, muss man mit Feuer rechnen, wenn man erwachsen ist. Das war ein kindisches Verhalten, sehr unverantwortlich. Und das Dritte ist: Klaus hat die Gelegenheit nicht verstreichen lassen und das Maximum für sich herausgeholt, denn er will im Zentrum von allem sein.

SZ: Vielleicht wird er das ja jetzt sein mit einer vollkommen unerfahrenen Beamtenregierung. Kann er in der EU nun eine größere Rolle spielen?

Vondra: Die Präsidentschaft ist nur noch eine Sache von sechs Wochen. Und das Problem der Regierung wird nicht ein Mangel an Expertise sein. Die haben erfahrene Leute, erfahren auch in europäischen Angelegenheiten. Das Team bleibt, um seine Pflicht zu tun bis Ende Juni. Ein gewisses Problem ist die allgemeine Schwäche der Übergangsregierung als solcher, denn sie hat nur eine vorübergehende Mission. Diese Regierung kann keine ernsthaften Abmachungen mit langer Gültigkeit treffen. Außerdem bleibt diese Verbitterung nach allem, was passiert ist.

SZ: Was haben Ihre Kollegen in anderen EU-Ländern Ihnen nach dem Sturz der Regierung gesagt?

Vondra: "Seid ihr verrückt geworden, ihr Tschechen?" Ich habe solche SMS bekommen. Zwei Minuten nach der Abstimmung.

SZ: Verstehen Sie diese Reaktion?

Vondra: Natürlich verstehe ich das. Ich war ja ebenfalls frustriert.

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